Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtet in ihrer heutigen Ausgabe über die Aufdeckung eines Fluchthilfenetzwerks im Landkreis Verden. Jedoch lässt die sehr oberflächliche Darstellung die eigentlichen Hinter- und Beweggründe von Flüchtlingen außer Acht und erstellt ein verzerrtes Bild.
In der Berichterstattung wird vollkommen ausgeblendet, dass die politischen Bemühungen, Fluchtversuche zu verhindern, der auslösende Faktor für die verzweifelten Versuche von Flüchtlingen darstellen, illegal nach Europa zu fliehen. Die Geschäfte von Schleusergruppen sind ein Resultat der betriebenen politischer Abschottung und staatlich organisierten Fluchtverhinderung. Vollkommen absurd erscheinen die Ausführungen zu der Verstümmelung von Fingerkuppen, die den Fluchthelfern in die Schuhe geschoben werden. Bestrebungen dieser Art sind Verzweiflungstaten von Flüchtlingen, die befürchten müssen, in ein Land zurückgeschoben zu werden, das nach der Dublin-II- Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein soll, weil in diesem Land eine erste Registrierung und eine Abnahme von Fingerabdrücken erfolgte. Viele Flüchtlinge wehren sich gegen derartige Überstellungen, sei es weil sie in dem zuständigen Dublin II – Vertragsstaat kein faires Verfahren zu erwarten haben, sei es, weil sie hier in Deutschland Verwandte haben. Auf Fluchthelfer ist diese Handlungsweise aber nicht zurück zu führen.
Sicherlich sind die Methoden von Fluchthilfeorganisationen, die die Not der Betroffenen ausnutzen, oft nicht zimperlich. Die – offenkundig auf eine Pressemeldung der Bundespolizei zurückgehende – Berichterstattung verkennt aber die eigentlichen Umstände, die dazu führen, dass Flüchtlinge sich in die Hände solcher Organisationen begeben müssen, um Schutz in Deutschland zu finden. Bislang ist nicht erkennbar, dass Europa sich zu einer organisierten Rettungspolitik für syrische Flüchtlinge durchringt. Die erklärte Absicht, 5.000 Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, ist zwar löblich, aber doch auch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie schwer es selbst für anerkannte Flüchtlinge in Deutschland ist, Angehörigen im Rahmen des Familiennachzugs eine Aufnahme in Deutschland zu ermöglichen, macht ein feature des Deutschlandradio Kultur von heute morgen deutlich.
gez. Kai Weber
HAZ vom 05.06.2013:
Schleuser schliffen Fingerkuppen
Verden. Mit 350 Beamten ist die Bundespolizei am frühen Dienstagmorgen gegen ein Schleusernetzwerk vorgegangen. Die Syrer und Iraker sollen rund 100 Landsleute illegal nach Deutschland gebracht haben.
An 28 Orten durchsuchten die Beamten im Auftrag der Staatsanwaltschaft Verden Wohnungen und Geschäftsräume, ein Schwerpunkt lag im Kreis Diepholz. Gegen den 35-jährigen Hauptbeschuldigten in Twistringen und zwei andere Verdächtige seien Haftbefehle vollstreckt worden, teilte die Polizei mit; zwei weitere mutmaßliche Schleuser wurden festgenommen. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft ergänzte, gegen 34 Beschuldigte werde ermittelt.
Einsatzleiter Helgo Martens berichtete, dass die Schleuser mit ihren Schützlingen zum Teil sehr brutal vorgegangen waren. Sie schliffen zwei der Asylbewerber sämtliche Fingerkuppen ab, um die Identifizierung und Abschiebung zu verhindern. Für die schmerzhafte und zudem völlig überflüssige Verstümmelung hätten die Schleuser sogar einen Aufpreis verlangt. Dabei kann die Identität so gar nicht dauerhaft verschleiert werden, erläuterte Martens. Die Linien auf der Oberhaut der Finger würden nach einiger Zeit genauso nachwachsen.
Der mutmaßliche Drahtzieher lebte als ausländischer Staatsangehöriger legal in Twistringen. Den Erkenntnissen zufolge verfügte der 35-Jährige über ein europaweites Netz von Unterstützern, was die Einschleusung der Syrer und Iraker auf unterschiedlichen Routen ermöglichte. Zum Teil wurden die Flüchtlinge mit gefälschten Dokumenten ausgestattet.
Für die Kostenabwicklung von bis zu 10000 Euro pro Einreise soll ein im ostwestfälischen Minden lebender 43-Jähriger zuständig gewesen sein. Der Großeinsatz hat nach Einschätzung der Bundespolizei zur Zerschlagung der international tätigen Schleuserbande geführt. Diese habe als illegales Reisebüro besonders skrupellose Geschäfte mit den Hoffnungen der Flüchtlinge aus den Krisenregionen gemacht. Es wurde umfangreiches Beweismaterial beschlagnahmt, sagte der Sprecher der Verdener Staatsanwalt. Die Auswertung werde mehrere Monate dauern.
05.06.2013 / HAZ Seite 6 Ressort: NIED
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