Erfolgreiches „stilles Kirchenasyl“ einer syrischen Familie in Cuxhaven

Im Dezember letzten Jahres wurde einer von Abschiebung nach Italien bedrohten syrisch-kurdische Familie ein „stilles Kirchenasyl“ in einer Cuxhavener Gemeinde gewährt. Das Kirchenasyl wurde mit Hilfe des Pastors und freiwilliger Helfer:innen erfolgreich durchgeführt: Nach Abschluss der Überstellungsfrist gemäß Dublin II – Übereinkommen zog das BAMF die Zuständigkeit für eine inhaltliche Prüfung des Asylantrags an sich. Mittlerweile wurden alle Familienmitglieder als GFK-Flüchtlinge anerkannt.

Es folgt ein Bericht der Cuxhavener Gemeinde, welcher uns zugesandt wurde:

Kirchenasyl in einer ev. luth. Kirchengemeinde

Die syrisch-kurdische Familie musste Mitte 2011 nach einer Demo in Damaskus, an der der Ehemann teilnahm, in den Untergrund gehen und mit ihrem Kleinkind (Sohn, geb. 2010) fliehen. Die Ehefrau war schwanger. Der Ehemann hatte schon 2004 einen politisch bedingten Zusammenstoß mit der syrischen Polizei, wobei er zusammengeschlagen und im Koma liegengelassen wurde (Koma 2 Monate). Schleuser brachten im Juli 2011die Familie entgegen ihren Versprechungen statt nach Deutschland nach Italien . Hier wurden mit brutaler Gewalt die Fingerabdrücke gemacht. Danach wurde die Familie in einer Containerunterkunft mit fünf anderen Flüchtlingsfamilien sich selbst überlassen. Sie reiste heimlich nach Deutschland weiter, wo sie im Juli 2011 einen Asylantrag stellte. Nach Klinikaufenthalten wurde in einer Göttinger Klinik das zweite Kind 2011 geboren.

Die Familie bekam bis Juni 2012 Schutz vor Abschiebung. Im Februar 2012 wurde sie mit Duldung auf eigenen Wunsch nach Norddeutschland überstellt, da hier und in der Nähe Verwandte wohnten. Im Juni 2012 wurde der Familie vom BAMF mitgeteilt, dass der Asylantrag ungültig war, und sie nach Italien zurückgeführt werden würde. Ein Eilantrag um Schutz vor Abschiebung wegen posttraumatischer Belastungsstörungen des Mannes und wegen Erkrankung der Frau wurde vom VG abgelehnt. Im Juli stellte das BAMF einen Antrag an Italien wegen Rückführung der Familie laut dem sog. Dublin II Abkommen. Ein Flug nach Mailand wurde für den 08.08. 2012 gebucht.

Aus diversen von den Behörden zu verantwortenden Gründen kam dieser Flug nicht zustande. Weitere ärztliche Gutachten zu Belastungsstörungen und suizidalen Tendenzen der Eltern wurden beim VG Stade und dem BAMF eingereicht. Auch wurde die Ehefrau schwanger mit Risiko. Hauptsächlich wurde argumentiert, dass das Land Italien einer Familie mit zwei Kleinkindern und einer Risikoschwangerschaft und mit Belastungsstörungen nach einer traumatischen Flucht aus Syrien keine adäquate Unterkunft und ärztliche Behandlung bieten könne und würde und dass darum eine Rückführung unzumutbar sei. Der Amtsarzt stellte Reisefähigkeit fest, bestand aber darauf, dass die Familie wegen der Gefahr von Panikattacken der Eltern und einer Komplikation der Schwangerschaft während des Fluges von Kriminalbeamten (LKA) und einem Mediziner zu begleiten sei.

Ein zweiter Flug wurde für den 19. Dezember gebucht. Mittlerweile lief eine Petition an den Bundestag, beim VG lagen ein weiterer Eilantrag und eine Klage gegen die Stadt (Asylbehörde) vor. Ab Anfang Dezember war zu befürchten, dass die Familie bei einer Nacht- und Nebelaktion in Untersuchungshaft genommen und doch nach Italien geflogen werden könnte. Den Unterstützern der Familie war dies aber aus oben genannten humanitären Gründen und aus Mitmenschlichkeit nicht verantwortbar, so dass sie sich entschlossen, den Kirchenvorstand der ev. Luth. Kirchengemeinde um Hilfe mit einem sogenannten „Kirchenasyl“ zu bitten. Dies geschah umgehend.

Am Donnerstag, dem 6. Dezember 2012 entschloss sich der Kirchenvorstand zu einem solchen Asyl. Es sollte bis zum 31 Dezember (oder länger, falls notwendig) währen, da an diesem Tag die sechsmonatige Frist zur Abschiebung nach Italien abgelaufen sein würde, und dann voraussichtlich das Asylverfahren in Deutschland stattfinden könnte. Soweit wir wussten, werden deutschlandweit derzeit keine Flüchtlinge nach Syrien abgeschoben.

Die Empore in der Kirche wurde mit einer „Wohnecke“ eingerichtet, die Sakristei wurde zum Schlafraum, Küche, Wasch- und Toilettenräume waren vorhanden, der riesige Kirchenraum mit Fußbodenheizung wurde zum Tummelplatz der kleinen Kinder.

Die oberen Kirchenbehörden, Superintendent, Landessuperintendent, Beauftragte für „Kirchenasyl“ und die Beauftragte für Öffentlichkeitsbelange der ev. luth. Landeskirche waren äußerst hilfreich mit Rat und Beistand. Es sollte ein sogenanntes „stilles Kirchenasyl“ sein mit dem Vorbehalt, dass man an die Öffentlichkeit gehen würde, falls die Behörde versuchen würde, polizeilich gewaltsam einzugreifen.

Die Familie siedelte am Nachmittag des 07.12.2012 in die Kirche über und Rechtsanwalt, Asylbehörde und Stadt wurden am 08. 12. 2012 informiert, dass der Familie der Schutz der Kirche gegeben wurde, und dies vom 08.12.12 bis mindestens 31.12.12 bestehen würde. (Am 31.12.2012 erlosch die Rückführfrist nach Italien.) Die Familie wurde angehalten, während der akuten Phase bis zum 19. Dezember, die Kirche nicht zu verlassen. Wir vermuteten sehr, dass in den Weihnachts- und Urlaubstagen nach dem 19. keine weitere Buchung gemacht werden könnte.

In diversen Veranstaltungen und bei Einzelpersonen wurde um finanzielle Mithilfe gebeten. Es wurden relativ schnell über € 1000,- gespendet. Zu bedenken waren Kosten für den Unterhalt der Familie, Rechtsanwaltskosten u.a.m. Der Hausarzt der Familie erklärte sich bereit, die Familie umsonst ärztlich zu versorgen. Den Unterstützern fielen folgende Aufgaben zu:

  • Kontakt zu Behörden und Rechtsanwalt
  • Kochen, Küche und Wohnen mit Anweisung und Hilfen
  • Einkauf
  • die Wäsche
  • Persönlicher Kontakt zu den örtlichen Behörden
  • tägliche Besuche bei der Familie, um ihr den Aufenthalt abwechslungsreich und angstfrei zu gestalten.

Das Gros der Hilfe teilten sich das Pastoren- und zwei andere Ehepaare. Die Gemeinde begrüßte die Familie im Gottesdienst.

Zur örtlichen Behörde ist zu sagen, dass sie sich sehr freundlich und verständnisvoll zeigte und immer mit offenen Karten spielte, auch einen Polizeieinsatz für nicht geeignet hielt. Das „stille“ Asyl mag dazu beigetragen haben, dass der Umgang miteinander stets achtungsvoll und hilfreich war. Wichtig mag auch gewesen sein, dass in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Flugtermin mehrere freundliche aber sachliche Gespräche mit dem Ausländeramt stattgefunden haben, die zumindest gezeigt haben, wie andere dieses menschliche Problem sehen und sich auch um die betroffenen Menschen kümmern.

Das „Kirchenasyl wurde am Mittwoch, dem 2. Januar 2013, beendet.

Am 22. Januar 2013 kam vom BAMF die Bestätigung, dass das Asylverfahren für die Familie in Deutschland stattfinden kann. Für die Familie hat das Asyl bedeutet, dass die Symptome der Angst und des Traumas einer großen Entspannung und Normalität gewichen sind. Das zuständige Amt hat der Familie die ehemalige, in der Zwischenzeit ein wenig restaurierte Wohnung zugewiesen und ist dabei, einige mit den Bedarfszuweisungen und der Stromversorgung gemachte Fehler zu korrigieren.

Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit dem Verlauf dieses Kirchenasyls. Es waren viele Telefonate und Unterredungen (s.o.) nötig, die drei Ehepaare hatten genügend zu tun, wichtig war die Zuneigung der Betroffenen zu einander und die Tatsache, dass sehr viele, nicht nur Mitglieder der Gnadenkirche, das Anliegen als notwendig erkannten und es mit warmer Teilnahme und Hilfsangeboten begleiteten. Am größten ist natürlich die Freude und Erleichterung und der Dank darüber, dass dieser Familie in ihrer unbeschreiblichen Sorge und Angst mit Erfolg geholfen werden konnte.

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