Erfahrungsbericht: Marlen Viviana Martinez

Ich kann nicht sagen, dass das letzte Jahr wunderbar für mich war, es gibt aber ja Sachen worüber ich dankbar sein soll. An erster Stelle steht, dass mein Mann und ich immer noch am Leben sind, totzdem nach einem Jahr des Asylverfahrens, überlege ich mir manchmal ob es wirklich Wert ist, ich meine, wozu am Leben zu bleiben, wenn man doch überhaupt kein eigenes Leben führen darf?
Ich bin dankbar auch, weil wir ein Dach über dem Kopf haben, wir sind geschützt vor Kälte, Regen und Wärme u.a. Die Unterkünfte sind nicht perfekt aber gut. In Braunschweig haben wir viele Sachen, die es in anderen Asylheimen nicht gibt. Wir müssen nicht kochen, wir bekommen Frühstück, Mittagessen und Abendbrot täglich, es gibt immer genug für alle und obwohl es mir nicht immer schmeckt, das Essen ist gut und balanciert. Es wäre ziemlich kompliziert den Geschmack von hunderten zu finden, wir sind viele und aus verschiedenen Länder, wir haben immer anders gegessen.

Wir haben auch eine Wäscherei, man bringt eine groβe Tüte ein mal pro Woche, für Familie mit Kindern zwei mal in der Woche und trotz des Gestanks einiger Leute, man bekommt die Wäsche nachmittags sauber wieder, wir bekommen Hygieneartikel, das heiβt wir sollen es nicht selbst kaufen. Man hat auch die Möglichkeit zu arbeiten, nicht alle aber sowieso nicht alle wollen etwas tun.

Ich glaube niemand würde sich gewöhnen Toiletten, Dusche und die Küche mit so vielen verschiedenen und manchmal auch schmutzigen Leuten zu benutzen, es ist ekelhaft wenn einige die Zähne in der Küche putzen und andere erkennen kein Unterschied zwischen einem Waschbecken und dem Klo. Um Geschirr zu spülen, muss man vorher putzen, um ehrlich zu sein hier habe ich leider bemerkt, dass es Leute gibt, die nicht geeignet sind um in Gesellschaft zu leben.

Fast alles funktioniert richtig oder hat mal funktioniert bevor irgendjemand es kaputt gemacht hat und deswegen kann ich mich nicht beschweren, wenn eine Tür fehlt oder das Klo zerbrochen wurde, weil es eigentlich Umstände auβerhalb der Verwaltung des Heimes sind. Worüber ich mich beschweren könnte, wäre, dass manchmal die Zeit für die Reparaturen lange dauern. Das ist aber ein Problem von Bürokratie, wenn zum Beispiel ein Teil fehlt oder eine Firma kommen soll, dann heiβt es, dass man eine Genehmigung vom Chef braucht, der auch einen Chef hat, und dieser Chef auch einen hat, usw. Ich denke, das kennen wir alle, die schon mal für eine Firma oder Behörde gearbeitet haben, das ist ja ein Problem unseres Systems.

Im Lager gibt es natürlich Leute aus verschiedenen Ländern, es ist ziemlich schwer sich an die riesigen Unterschiede zu gewöhnen, es sind andere Kulturen, andere Sprachen und wenn die Toleranz fehlt, gibt es Probleme, es ist nicht unnormal Polizeiautos zu sehen, nicht nur um Drogen oder gestohlene Sachen zu suchen, sondern auch wenn es eine Schlägerei gibt. Zum Beispiel, als ich angekommen bin, war schrecklich, ich konnte abends nicht schlafen, um 2 oder 3 Uhr morgens hat man Streit drauβen auf dem Flur gehört, ich habe mich nie getraut die Tür aufzumachen, ich hatte Angst, dass mir oder meinem Mann etwas passieren könnte. Viele Leute haben nichts zu tun, die schlafen den ganzen Tag und abends sind sie wach, einige trinken, andere nehmen Drogen oder was auch immer, sie haben viel Energie und Agressivität in sich und haben keinen guten Weg gefunden, um etwas gesundes damit zu schaffen. Jeder Tag ist wie der vorherige, ich habe irgendwie Glück, weil ich eine Beschäftigung am Morgen habe, trotzdem für mich mittags heiβt schon Feierabend, man bekommt das Mittagessen, das Abendbrot in der Kantine und das wars, es gibt nichts mehr zu tun, glauben sie es mir, dieses vegetierende Leben macht die Leute krank, nicht physisch sondern seelisch Krank dieses Warten ohne Ende, man verliert die Richtung, wie ich es schon gesagt habe, man hat kein eigenes Leben, ich weiβ nicht was mir die Zukunft bringt, ich weiβ nicht ob ich eigentlich eine Zukunft habe, ich habe fast alles verloren und würde gerne noch mal anfangen, aber dort verliere ich manchmal die Hoffnung, ich bin fertig, ich fühle mich als ob ich ein Parasit wäre und das gefällt mir nicht, ich bin immer aktiv gewesen, das ist für mich das schlimmste.

Ich versuche aber meine Zeit zu beschäftigen, ich habe schon ein Vorteil, ich kann Deutsch. Ich leihe mir Bücher aus zum Beispiel, aber andere können kein Deutsch, sie haben keine Ahnung wie die Sachen hier in Deutschand funktionieren und können es auch nicht lernen, weil während des Asylfehrfahrens kriegt man keinen Kurs, es gibt ja kostenlose Deutschkurse zum Beispiel beim Refugium und manchmal auch in anderen Schulen riegt man einen Rabatt, das können wir aber tun, weil mein Mann und ich arbeiten im Heim, das heiβt wir bekommen ein biβchen mehr als nur unser monatliches Taschengeld andere haben diese Chance aber nicht dann gehen sie einfach um die Stadt ohne Perspektive und dann bekommen sie böse Ideen.

Ich wäre dafür, dass es mehr Kontrolle gäbe, letzte Woche gab es eine Person, die eine Familie aus Irak gesucht hat, ich frage mich, wie konnte er rein kommen, was passiert, wenn er keinen Freund der Familie wäre sondern einen Feind? Man ist hier weil man Schutz sucht, ich wäre total erschrocken, wenn es zum Beispiel ein Kolumbianer X kommt und uns suchen würde, wer kann mir versichern, dass er kein Paramilitär ist?

Ich habe immer bequem gelebt, ich bin nie reich gewesen aber auch nicht arm deswegen fiel es für mich am Anfang so schwer im Asylheim zu leben. Nach einem Jahr habe ich micht nicht daran gewöhnt, werde ich mich auch nie aber ich kann auch nicht unfair sein und sagen, dass es alles schrecklich ist. Dort haben wir gute Sachen aber leider auch viele schlechte, das schlimme liegt aber an den Leuten, die Umgebung ist schwer, man ist nie ruhig, man weiβt nicht wer der Nachbar ist, und was für Sachen er getan hat oder immer noch tut, diese Spannung, plus die Inaktivität, plus das Warten das friβt die Seele und die Gedanken werden immer durcheinander man steht da, sieht um sich und das ist wie im Nebel zu sein, das Problem für mich zum Beispiel ist, dass das Licht, das ich irgendwann mal gesehen habe, wird jeden Tag viel schwächer. Mir geht es auch so wie anderen und ich bin sicher, das viele von diesen anderen noch nicht aufgegeben haben und würden gerne noch mal das Licht, den Norden, die Richtung finden.

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