Abschiebehaft wird oft zu schnell verhängt

Nachfolgend zum Thema der Artikel von Michael Berger auf der Niedersachsenseite der HAZ vom 11.03.2008:

„Abschiebehaft wird oft zu schnell verhängt“

Während sich Innenminister Uwe Schünemann (CDU) schnellere Abschiebungen wünscht, klagen Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen über schwere Verstöße gegen die Grundrechte bei der Abschiebepraxis. Viele Flüchtlinge säßen zu Unrecht in Abschiebehaft, sagt der hannoversche Anwalt Peter Fahlbusch.

In den letzten sechs Jahren hat Fahlbusch 534 Flüchtlinge anwaltlich beraten und Buch über ihr weiteres Schicksal geführt. „154 meiner insgesamt 534 Mandanten saßen teilweise zu Unrecht in Abschiebehaft“, sagt Fahlbusch. Auf fast 4000 „rechtswidrige Hafttage“ ist Fahlbusch in seiner Mehrjahresstatistik gekommen – im Schnitt säße jeder Mandant 25,8 Tage zu Unrecht in Haft, mancher nur einen Tag, mancher für Monate. „Das ist doch für einen Rechtsstaat ein desaströses Ergebnis“, sagt der Anwalt.

Oft sind es höhere Gerichtsinstanzen, die die Anordnungen der jeweiligen Ausländerbehörden oder auch einzelner Haftrichter in Zweifel ziehen. Fahlbusch kann dies mit einer Fülle von Akten belegen. Da bemängelt das Landgericht Hildesheim die Inhaftierung eines 16-jährigen Minderjährigen aus dem Landkreis Peine als rechtswidrig, weil „unverhältnismäßig“, da rügt das Landgericht Lüneburg, dass schwer kranke und damit reiseunfähige Menschen in Abschiebehaft genommen worden waren. „Es kommt immer wieder vor, dass Festnahmen ohne richterlichen Haftbeschluss stattfinden oder Anhörungen ohne Ehepartner stattfinden“, sagt der Anwalt. Dabei sei die Anhörung zwingend vorgeschrieben. Einer seiner Mandanten sei vor Jahren sogar an seinem Arbeitsplatz festgenommen worden, obwohl gar kein Haftgrund vorgelegen habe. „In der Gesamtheit ergibt sich ein hochgradig erschreckendes Bild.“

Vor allem öffentliches Desinteresse und eine fehlende Lobby macht der Jurist dafür verantwortlich, dass sich kaum jemand für diese „vergessenen“ Gefangenen interessiere. „Wenn ich meine Frau länger als eine Woche einsperre, droht mir eine Haftstrafe von mehr als einem Tag [gemeint ist: Jahr, KW].“ Doch im Flüchtlingsbereich legten manche Behörden wohl andere Maßstäbe an, obwohl es sich nicht um Kriminelle handele. „Ihr einziges ‚Vergehen“ besteht darin, nicht dieses Land verlassen zu wollen.“ Nicht glücklich findet der Anwalt auch, dass Beschwerden bei Abschiebehaftverfahren bei den Landgerichten landeten und dort von Richtern bearbeitet würden, deren täglich Brot Kapitalverbrechen seien und die oft wenig Zeit hätten, sich auf komplizierte Asylverfahren einzulassen.

„Abschiebehaft sollte eigentlich nur die allerletzte Möglichkeit bleiben“, sagt Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Wir fragen uns oft: Wo bleibt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?“

Früher habe ein Erlass die Behörden aufgefordert, bei allen ihren Schritten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beherzigen. Doch heute dränge Innenminister Schünemann die Kommunen geradezu, möglichst schnell und möglichst viele Menschen abzuschieben: „Da steckt doch System dahinter,“ sagte Weber

Derzeit sitzen in Niedersachsen nach Auskunft des Justizministeriums 64 Menschen in Abschiebehaft, darunter 56 Männer und acht Frauen.

von Michael B. Berger

Die Dokumentation von Rechtsanwalt Peter Fahlbusch (Tel. 0511 – 600 60 30) zur rechtswidrigen Inhaftierung von Flüchtlingen in Niedersachsen findet sich hier

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