Die enthemmte Mitte – Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland

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In der Studie „Die enthemmte Mitte“ der Universität Leipzig sagten mehr als 40 Prozent der Bürger, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden (2014: 36,6 Prozent). Außerdem sind 49,6 Prozent der Meinung, Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden (2014: 47,1 Prozent). Fast 60 Prozent der Bürger sind der Ansicht, die meisten Asylbewerber hätten in ihrer Heimat nicht wirklich Verfolgung zu befürchten. Und knapp 81 Prozent finden: „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat nicht großzügig sein.“ Jeder Zehnte in Deutschland glaubt, dass wir einen starken Führer brauchen. Ebenso groß ist der Anteil derer, die meinen, Juden hätten einen zu starken Einfluss.

Fast 34 Prozent der Deutschen meinen, die Bundesrepublik sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Ausmaß überfremdet“. Und ein gutes Viertel der Bevölkerung findet: „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken.“ Auch gegen Sinti und Roma richten sich ausgeprägte Aggressionen. Sie neigten zur Kriminalität, meinen 58,5 Prozent der Deutschen. Und etwa die Hälfte der Bevölkerung ist der Ansicht, Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden. Schwule und Lesben sind ebenfalls Zielscheibe solcher Abwertungen.

Menschen mit rechten Einstellungen sind laut Studie zunehmend offen dafür, zur Durchsetzung ihrer Interessen Gewalt anzuwenden. Fast 20 Prozent der Befragten erklären, sie seien bereit, sich „mit körperlicher Gewalt gegen Fremde durchzusetzen“. Mehr als 28 Prozent würden zwar nicht selbst handgreiflich werden, finden es aber „gut, wenn es Leute gibt, die auf diese Weise für Ordnung sorgen“.

Besonders verbreitet sind rechte Positionen und Ressentiments gegen Asylsuchende, Muslime sowie Sinti und Roma bei AfD-Anhängern und Nichtwählern. „Die Rechtsextremen haben in der AfD eine Heimat gefunden“, sagte Decker. Die Wissenschaftler meinen, das Potenzial für rechtspopulistische Parteien sei noch größer als es die Wahlergebnisse bislang zeigten.

Siehe hier die Presseerklärung der Uni Leipzig
Dazu ein Kommentar von Joachim Zießler aus der heutigen Ausgabe der „Landeszeitung“:

Schleichende Radikalisierung

Überraschend ist es nicht, dass die Deutschen mehr Ressentiments hegen, aber dennoch erschreckend. Die Wutbürger beginnen, den Werterahmen der Republik nach rechts zu verschieben. Noch bevor ein einziger Bundesbürger wegen der Flüchtlinge Abstriche an seinem Lebensstandard machen musste, vergiftet Inhumanität tröpfchenweise die Gemüter. Im Libanon ist jeder dritte Einwohner ein Flüchtling; doch der Ruf nach einem starken Mann, der dem eigenen Volk wieder Vorrang einräumt, ertönt im wohlhabenden Deutschland.
Abgehängte Unterschichten, verängstigte Mittelschichten und verantwortungslose Eliten bereiten den Nährboden, auf dem die Sumpfblüten der Rechtspopulisten erblühen. Ein Land, in dem Armut und Reichtum erblich sind, und in dem Freiheit und Sicherheit für etwas Selbstverständliches, Wohlstand aber für das Wichtigste gehalten wird, verroht.
Vordenker wie Thilo Sarrazin belebten völkisch-rassistische Denkmuster des 19. Jahrhunderts neu. Selbsternannte Verteidiger des Abendlandes trugen Galgen und Hass auf die Straßen. Brandstifter und Messerstecher fühlten sich ermuntert.
Wie in der Weimarer Republik radikalisiert sich die Mitte nicht mit einem spürbaren Ruck, sondern schleichend. Darin liegt die größte Gefahr. Wer vor zehn Jahren gefordert hätte, auf Flüchtlinge zu schießen, wäre im Abseits gelandet. Heute fliegen solchen Politikern Wählerstimmen zu.
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2 Gedanken zu „Die enthemmte Mitte – Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland“

  1. Was mich wundert: gegenüber dem Bericht 2014 hat sich kaum etwas geändert (ein paar Schwankungen aber keine signifikanten Unterschiede). Da hiess der Bericht aber: „Die stabilisierte Mitte…“. Nichts zeigt so deutlich wie dieser Umstand, dass sich die „Mitte“ auch dadurch ändern kann, dass der Beobachter seinen Standpunkt ändert.

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  2. @Max Torf: „ein paar Schwankungen“ — ? Wenn Prozentzahlen im Vergleich ausschließlich (!) nach oben gehen, sind das keine Schwankungen in beide Richtungen, es handelt sich schlicht um Zunahme. Immerhin ist in Deutschland ein Stimmenunterschied von 5% ausreichend, um ins Parlament zu kommen. Im Parlament zu sein oder nicht macht durchaus einen „signifikanten Unterschied“. Es ist also richtig, von zunehmender Enthemmung und von Radikalisierung zu sprechen. Und ein Anteil von fast 20% Befürwortern körperlicher Gewalt ist ein entschiedener Grund zur Beunruhigung. Dass es dabei Menschen gibt, die sich selbst zurücklehnen und andere (z.B. sog. Bürgerwehren?) die Drecksarbeit machen lassen wollen, macht die Sache eher noch schlimmer.
    Und nur ein Beispiel: es ist eine Tatsache, dass zzt. mehr Gewalt GEGEN Flüchtlinge und Migranten stattfindet als umgekehrt. Mir hat noch niemand plausibel erklären können, was eigentlich „Überfremdung“ bedeutet und erst recht, was daran gefährlich sein soll?
    Nur mal so gedacht: wenn alle Ausländer Deutschland gleichzeitig verlassen würden, käme der Öffentliche Nahverkehr zum Erliegen, Baustellen lägen brach, Müll bliebe liegen, Krankenhäuser müssten schließen und und und.
    Insofern kann ich Sie nur zum Nachdenken ermutigen, damit Sie vielleicht nicht nur beobachten sondern auch Ihren Standpunkt ändern.

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