Presseerklärung von PRO ASYL vom 15. März 2012
Ungarn: Systematische Verletzung der Menschenrechte von Flüchtlingen
PRO ASYL fordert Abschiebestopp und gesetzliche Verankerung von Rechtsschutz in Deutschland
Als Ergebnis aktueller Recherchen zum Asylsystem und zur Behandlung von Flüchtlingen in Ungarn fordert PRO ASYL, ab sofort Rücküberstellung von Asylsuchenden und Flüchtlingen nach Ungarn auszusetzen. Die Rechte von Flüchtlingen werden in Ungarn systematisch missachtet, so das Ergebnis eines heute veröffentlichten Berichtes. PRO ASYL Geschäftsführer Günter Burkhardt appellierte an den Bundesinnenminister: „Stoppen Sie die Abschiebung in menschenrechtswidrige Zustände.“
PRO ASYL stützt sich auf die Rechercheergebnisse deutscher Menschenrechtsaktivisten und -aktivistinnen, die diese Situation während eines Jahres untersucht haben, sowie auf Berichte des Ungarischen Helsinki-Komitees.
Systemische – also nicht lediglich einzelfallbezogene – Mängel des ungarischen Asylsystems hat die ungarische Regierung insbesondere in folgenden Bereichen zu verantworten:
- Schutzsuchende werden rechtswidrig für bis zu zwölf Monate inhaftiert.
- Effektive Rechtsmittel gegen die Verhängung von Abschiebehaft werden ihnen verweigert.
- Es liegen viele Berichte von Asylsuchenden vor, die angeben, durch ungarische Polizeikräfte misshandelt worden zu sein.
- Flüchtlinge, die aus anderen Staaten nach Ungarn zurücküberstellt werden (weil Ungarn formal für deren Asylgesuch zuständig ist), wird ein faires Asylverfahren verweigert. Ihr Asylgesuch wird nach der Rückkehr als sogenannter Folgeantrag bewertet. In der Praxis bedeutet das: Die ursprünglich angegebenen Fluchtgründe sind von der rechtlichen Prüfung ausgeschlossen. Damit werden die Flüchtlinge aus dem Asylsystem herausgedrängt und sind unmittelbar von Abschiebung bedroht.
- Ungarn sieht Serbien als sicheren Drittstaat an und hält Abschiebungen dorthin für unproblematisch. Serbien seinerseits hält die Türkei für einen sicheren Drittstaat.
PRO ASYL fordert eine Änderung der Gesetze in Deutschland. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 muss auch in Deutschland umgesetzt werden. Alle Schutzsuchenden müssen das Recht haben, sich vor Gericht gegen Abschiebungen effektiv zu wehren – auch im Dublin II-Verfahren.
Der Europäische Gerichtshof hatte am 21. Dezember 2011 entschieden, dass es im Rahmen der europäischen Zuständigkeitsregelung für die Behandlung von Asylverfahren (Dublin II-Verordnung) keine blinden Abschiebungen in denjenigen Staat geben darf, der formal für die Behandlung von Asylverfahren zuständig ist, wenn es dort systemische Mängel gibt. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sind Dublin-Abschiebungen nach Ungarn rechtswidrig.
PRO ASYL fordert die Europäische Kommission auf, die systemischen Mängel und die daraus resultierenden alltäglichen Menschenrechtsverletzungen gegenüber Asylsuchenden zum Anlass zu nehmen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten.
Die Recherchen vor Ort in Ungarn wurden maßgeblich von Marion Bayer durchgeführt. Die Ergebnisse werden von PRO ASYL und bordermonitoring.eu in der Broschüre „Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit“ veröffentlicht.
PS: Das ARD Magazin Panorama hat seinerseits in Ungarn recherchiert. Der Bericht wird am 15. März 2012, 21.45 Uhr ausgestrahlt.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...