Presseerklärung zum Fall Siala/Salame

Unanständig und unbelehrbar

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen und der Unterstützerkreis von Gazale Salame und Ahmed Siala sind tief enttäuscht und überdies vollkommen entsetzt über das Niveau der Argumente, mit denen der Landkreis Hildesheim in seiner Pressemitteilung vom 20.10.2011 erklärt, dass er nicht bereit ist, eine kurzfristige Lösung im Falle der getrennten Familie herbeizuführen. Nach wie vor besteht er darauf, dass Ahmed Siala mit den beiden älteren Töchtern in die Türkei ausreist.

Im Kern geht es in dieser Auseinandersetzung um die Frage, ob einem Menschen mit der Begründung, Vorfahren hätten in der Türkei gelebt, die Aufenthaltserlaubnis entzogen werden darf, obwohl dieser Mensch de facto mit der Türkei nie etwas zu tun hatte: Es geht um einen Flüchtling, der mit 5 Jahren aus dem bürgerkriegsgeschüttelten Libanon mit seinen Eltern nach Deutschland floh, im Alter von 11 Jahren eine deutsche Aufenthaltserlaubnis erhielt und im Alter von 15 Jahren die libanesische Staatsangehörigkeit, und der inzwischen ein Vierteljahrhundert – 26 Jahre – in Deutschland lebt. Der Entzug der Aufenthaltserlaubnis von Ahmed Siala im Jahr 2001 war bereits unverhältnismäßig und mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht zu vereinbaren. Der vom Landkreis erhobene Vorwurf der „Identitätstäuschung“ war infam. Zehn Jahre später ist die aufrecht erhaltene Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis nichts als blanker Zynismus.

In seiner 11-seitigen Presseerklärung verbreitet der Landkreis eine Menge Halbwahrheiten und wirft Nebenkerzen, die von der eigentlichen Frage ablenken: Was hat Ahmed Siala mit der Türkei zu tun? Er hat dort nie gelebt, er hat das Land nie betreten. Mit dem Verweis von Ahmed Siala auf das Land seiner angeblichen Vorfahren verfolgt der Landkreis eine Vertreibungspolitik, die nach menschenrechtlichen Maßstäben inakzeptabel und verurteilungswürdig ist.

Wenn seitens des Landkreises moniert wird, dass seine wirtschaftliche Integration bisher nicht gelungen sei, muss darauf verwiesen werden, dass Herr Siala erst durch den Entzug seiner Aufenthaltserlaubnis erwerbslos wurde. In der Folge war Herr Siala zwar zwischenzeitlich immer wieder auch arbeitslos, seit einiger Zeit erwirtschaftet Herr Siala aber seinen Lebensunterhalt vollkommen selbstständig.

Mit dem nds. Innenministerium gab es im Jahr 2010 die Vereinbarung, dass Herrn Siala eine Aufenthaltserlaubnis über einen Antrag an die Härtefallkommission ermöglicht werden sollte. Eine weitere Vereinbarung gab es – anders als in der Pressemitteilung des Landkreises dargestellt – nicht. Die grundsätzlichen Bedingungen, die dafür verlangt wurden, hat Herr Siala im Prinzip erfüllt. Mit Hinweisen auf angebliche Straftaten versucht der Landkreis ganz offenbar, Stimmung zu erzeugen, ohne Fakten zu nennen. Das ist Stammtischniveau. Bekanntlich hat man Ahmed Siala vor fünf Jahren wegen Schlachtens ohne vorherige Lebendbeschau durch einen Veterinär verurteilt. Mittlerweile hat Ahmed durch mehrere Leumundszeugnisse von Veterinärämtern unter Beweis gestellt, dass er sein Handwerk beherrscht und hervorragende Arbeit als Schlachter leistet. Darüber hinaus kann Ahmed lediglich eine ebenfalls längst bekannte und erklärbare – geringfügige Verfehlung vorgehalten werden, wegen derer er zu einer Strafe von 20 Tagessätzen verurteilt wurde.„Mehrere Strafverfahren und Ordnungswidrigkeiten“, die anhängig seien, wie es seitens des Landkreises heißt, können ihm kaum vorgeworfen werden, da diese Verfahren eingestellt wurden.

Nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen des Landkreises zur Frage der türkischen AbstammungAhmed Sialas.

Geradezu stur verweist der Landkreis in seiner Pressemitteilung darauf, dass ein DNA-Gutachten bestätigt habe, dass Ahmeds Vater verwandt mit Herrn Ismail Siala sei, der im türkischen Register aufgeführt werde. Fakt ist, dass das Gutachten zwar eine Verwandtschaft für wahrscheinlich hält, aber explizit festgestellt hat, dass der Vater nicht, wie im Register angegeben, ein Bruder von Ismail Siala sein kann. Damit ist belegt, dass das türkische Register die Verwandtschaftsverhältnisse in der Familie nicht richtig wiedergibt und insofern kein seriöses Dokument darstellt – ein Fakt, den der Landkreismitarbeiter Jürgen Kalmbach in einem Verfahren vor dem Landgericht Bückeburg und an anderer Stelle selbst bestätigte.

Vollkommen fadenscheinig argumentiert der Landkreis, wenn er behauptet, die Ergebnisse aus diesem Verfahren seien nicht übertragbar, u.a. weil der Mitarbeiter Kalmbach vom Gericht falsch zitiert worden sei. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um denselben Mitarbeiter, der bereits im Jahre 2001 im Rahmen einer Türkei-Recherche im Auftrag des niedersächsischen Innenministeriums Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Personenregister geäußerte und dazu verschiedene Fakten lieferte, unter anderem, dass Eintragungen in das türkische Personenregister in den 70er und 80er Jahren ohne Vorlage von Dokumenten von unterschiedlichsten Leuten vorgenommen werden konnten. In dem konkreten Fall von Ahmed Siala gibt es erdrückende Beweise, die deutlich machen, dass Ahmeds Vater von einer Registrierung im türkischen Personenstandsregister nichts gewusst haben kann und möglicherweise gar nicht derjenige ist, der im vom Landkreis angeführten türkischen Register genannt wurde. So wurde die angebliche Eintragung des Vaters von Ahmed Siala in einem türkischen Personenstandsregister unter dem Namen “Gazi Önder” erst im Jahre 1975 vorgenommen, 30 Jahre nach Geburt des Gazi Önder, und zwar als “ledig”. Ahmeds Vater war zu diesem Zeitpunkt allerdings längst verheiratet und Vater von sieben Kindern im Libanon, was eine entsprechende, dem Landkreis vorliegende Eintragung im Libanon belegt. All dies ficht den Landkreis offenbar auch nicht an, darauf wird auch nicht weiter eingegangen.

Vollkommen empörend ist es, in der Pressemitteilung zu lesen, wie in Frage gestellt wird, dass Gazale Salame in der Türkei unter erbärmlichen Bedingungen lebt. Sie lebt seit ihrer Abschiebung von den Überweisungen ihres Mannes und den Spenden von UnterstützerInnen in Deutschland. Gazale Salame war, als sie das (ihr letztlich verweigerte) Visum zum Besuch in Deutschland beantragte, gezwungen, Besitz nachzuweisen, um ihre Rückkehrbereitschaft deutlich zu machen. Das in der Pressemitteilung angeführte, angebliche Haus des Vaters von Gazale Salame in der Türkei ist diesem nur formal überschrieben worden und befindet sich nicht tatsächlich in seinem Besitz. Dies alles weiß der Landkreis seit über einem Jahr. Der Sachverhalt wurde bereits im Härtefallverfahren ausgeräumt. Dass der Landkreis diese Klamotte erneut auspackt, kann insofern nur als böswillig bezeichnet werden.

Alles in allem macht die Pressemitteilung des Landkreises deutlich, dass hier etliche Argumente gegen eine Rückholung von Gazale Salame mit ihren Kindern nur vorgeschoben sind. Unerträglich ist auch der Hinweis auf die Tatsache, dass Ahmed Siala und Gazale Salame nicht verheiratet sind. Der Landkreis sollte wissen, dass eine Familie im rechtlichen Sinne vorliegt, wenn Kinder da sind, unabhängig vom Vorliegen eines Trauscheins. Betroffen sind in diesem Fall insbesondere auch die Kinder, denen eine Erziehung durch beide Elternteile seit Jahren versagt bleibt. Warum der Landkreis sich einer menschlichen Lösung verweigert, darüber lässt sich nur spekulieren. „Wir können nur vermuten, dass die Entscheidungsträger im Landkreis ihre Verantwortung an dieser menschlichen Tragödie nicht eingestehen können“, meint dazu Dr. Gisela Penteker vom Vorstand des Flüchtlingsrats. Vor zwei Wochen noch erklärte die SPD-Fraktion, sie werde sich gemeinsam mit dem Landrat um eine schnelle Rückholung von Gazale zu ihrer Familie bemühen. Der Landrat verfolgt ganz offensichtlich ein falsches Spiel, er hintergeht dabei selbst seine eigene Fraktion.

Auf der Strecke bleibt dabei Gazale Salame, die nach Erhalt der Nachricht über die neuerliche Ablehnung aller Bemühungen um eine Lösung vollkommen zusammengebrochen ist.

Nachtrag: Auf die Rückendeckung der NPD kann sich der Hildesheimer Landrat verlassen, siehe  hier

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