In der Anlage veröffentlichen wir eine hervorragende Diplomarbeit von Andreas Beier zur gesundheitlichen Situation von Flüchtlingen, untersucht und dargestellt am Beispiel der kommunalen Gesundheitsversorgung in den Städten Münster und Osnabrück.
Die Diplomarbeit wurde im Fachbereich Oecotrophologie an der Fachhochschule Münster im April 2007 vorgelegt und kann hier heruntergeladen werden. Nachfolgend dokumentieren wir die Einleitung:
Weltweit befinden sich weit mehr als 21 Millionen Menschen auf der Flucht. Viele von ihnen fliehen vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen in ihrem Herkunftsland, aus politischen, sozioökonomischen Gründen oder aufgrund der Auswirkungen des globalen Klimawandels. Neben einer hohen Anzahl von Binnenflüchtlingen, verfolgt ein Teil dieser Menschen das Ziel, vom afrikanischen Kontinent aus auf dem Seeweg, das europäische Festland zu erreichen. Bei diesem Versuch starben in den vergangenen Jahren bereits mehrere tausend Menschen.
Die verstärkte Sicherung der EU-Außengrenzen durch weitreichende, sicherheitspolitisch begründete Maßnahmen, soll eine Abschottung Europas, der ‘Festung Europa`, garantieren und die unerwünschte Einreise von Flüchtlingen verhindern.
Diese extreme Abschottungspolitik führt dazu, dass nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Flüchtlinge es bis in die Metropolen Europas zu flüchten schafft, um dort den vermeintlichen Schutz zu suchen. Ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus erwartet sie ein Leben in sozialer Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Diskriminierung, Kriminalisierung und Illegalisierung. Sie fühlen sich häufig aufgrund der Einschränkungen des Alltäglichen missachtet und ausgegrenzt. Eine rigide Asylpraxis und nationale Gesetzesverschärfungen zeichnen von den Flüchtlingen ein gesellschaftliches Bild als ungebetene Gäste, die wie Fremdkörper mit allen Mitteln zum Verlassen des Schutzraumes bewegt werden sollen. Es werden bilaterale Verträge geschlossen und Rückübernahmeabkommen mit außereuropäischen Ländern getroffen, um Flüchtlinge abschieben zu können.
Die Verschärfungen der europäischen und besonders deutschen Asylpraxis ist gekennzeichnet von sinkenden Flüchtlingszahlen, einer abnehmenden Asylanerkennungsrate und steigenden Abschiebungsquote. Dieses kontinentale Vorgehen gegen unerwünschte Zuwanderung zeigt sich richtungsweisend auch für die einzelnen Rechtssysteme der EU-Mitgliedsländer.
Es werden Lager errichtet, in denen Flüchtlinge keine Möglichkeit erhalten, ein selbstbestimmtes und freies Leben zu führen. Zentralisiert untergebracht, werden die Betroffenen zunehmend isoliert und ihre bürgerlichen Rechte missachtet. Ein schnelles Asylverfahren ermöglicht den Staaten eine schnelle Abschiebung in ein, ihrer Ansicht nach, sicheres Drittland, welches für die Aufnahme der Flüchtlinge durch Unterstützungszahlungen entschädigt wird.
Die bis nach Deutschland geflohenen Menschen erhalten die Möglichkeit, einen Antrag auf Asyl zu stellen, dessen Anerkennung jedoch aufgrund von Verschärfungen des Asylrechts zunehmend gefährdet wird. Die Lebenssituation der Flüchtlinge ist häufig von Angst vor Ausgrenzung, Diskriminierung und Abschiebung geprägt.
Fehlende Perspektiven und eingeschränkte Gestaltungsfreiheiten eines wenig selbstbestimmten Lebens verstärken die gesundheitlichen Belastungen und erhöhen den psychischen Druck. Die staatliche Versorgung der Flüchtlinge zeigt vielfältige Defizite.
Grundsätzlich ist Flucht und Migration mit spezifischen Gesundheitsgefahren und -risiken verbunden. Die Menschen stellen spezifische Forderungen und Bedarfe an die Gesundheitsversorgungssysteme. Sie sind stärker gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Belastungen ausgesetzt, die unter Umständen in einem schlechteren Gesundheitsstatus sichtbar werden. Dies führt zu einer besonderen Herausforderung, auf die die Politik und vorrangig die Regeldienste der Gesundheitsversorgung verantwortungsvoll und angemessen reagieren müssen. Im Vordergrund stehen dabei der Abbau vielfältiger Zugangsbarrieren sowie die transkulturelle ßffnung der Regeleinrichtungen. Nur in wenigen Kommunen werden Angebote einer medizinischen Versorgung Illegalisierter angeboten. ßltere und körperlich beeinträchtigte Flüchtlinge, Frauen sowie Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihrer besonderen Bedarfe der Versorgung zusätzlich benachteiligt. Allgemein wird die Versorgungslage der Flüchtlinge als sehr defizitär beschrieben. Dabei steht Deutschland in der Verantwortung, die Versorgung aller hier lebenden Flüchtlinge zu gewährleisten.
Die Eigenständigkeit und föderale Struktur der Bundesländer, verpflichtet diese, und letztendlich die Kommunen, sich diesen Herausforderungen u.a. einer zielgerichteten Gesundheitsversorgung der ihnen zugeteilten Flüchtlingen zu stellen. In der vorliegenden Arbeit soll diese unterschiedliche Herangehensweise am Beispiel von zwei Städten aus unterschiedlichen Bundesländern untersucht werden.
Hierbei geht es um die Frage, wie sich die Städte Osnabrück (Niedersachsen) und Münster (Nordrhein-Westfalen) der Herausforderung einer zielgerichteten Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge stellen. Die beiden Städte verbindet neben der infrastrukturellen Verknüpfung durch den gemeinsamen Flughafen Münster/Osnabrück (FMO), eine tief verwurzelte Städtegemeinschaft durch den 1246 geschlossenen Westfälischen Städtebund und ihrer friedenspolitischen Ausrichtung.
Bei diesen beiden Bischofsstädten handelt es sich um die zentralen Orte des Westfälischen Friedens von 1648. Trotz ihrer räumlichen Nähe zeigen sich deutliche Unterschiede der Versorgungsstrukturen und politischen Handlungsmaßstäben in Bezug auf Flüchtlinge. Eine Darstellung der Gesundheitsversorgungssituation beider Städte soll einen differenzierten Einblick in die Versorgungsstrukturen für Flüchtlinge geben und mit als Grundlage für die Formulierung politischer Forderungen und Handlungsansätze dienen. Hierzu werden zehn ExpertInnen aus den Bereichen „Stadtverwaltung/ Sozialamt/ Gesundheitsamt“, „städtischer AusländerInnen-/ Migrationsbeirat“ und „unabhängige UnterstützerInnenorganisation“ interviewt.
Beginnend mit einer Beschreibung der methodischen Herangehensweise mit den Erläuterungen zur Methodenwahl, befasst sich der erste Teil der Ergebnisdokumentation mit den Gründen für und Hintergründen von Migration, einem historischen Rückblick auf die Entwicklung des internationalen Flüchtlingsschutzes und dem Versuch einer Flüchtlingsdefinition. Die Betrachtung der globalen und europäischen Flüchtlingssituation erfolgt im engen Zusammenhang mit der Darstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Die spezifische, europäische Gesetzgebung bildet die Einleitung in die nähere Betrachtung des deutschen Rechtssystems.
Den rechtlichen Entwicklungen gegenüber steht die Lebenssituation der Flüchtlinge in Deutschland. Diese wird anhand der beeinflussenden Faktoren für den Gesundheitsstatus und das Gesundheitsverhalten der Flüchtlinge beschrieben. Die allgemeine Gesundheitsversorgung im Hinblick auf einzelne Flüchtlingsgruppen bildet den Abschluss des theoretischen Teils der Untersuchung und den ßbergang zur Betrachtung der regionalen Strukturen. Der zweite Teil der Ergebnisdokumentation erlaubt die Darstellung und Diskussion der Ergebnisse aus den Experteninterviews.
Die Betrachtung weltweiter Missstände und deren Auswirkungen auf die Benachteiligten und Betroffenen einer kapitalisierten und machtpolitisch orientierten Weltpolitik, aber auch das gesellschaftspolitische Anliegen, die Gesundheitsversorgungssituation für Flüchtlinge in Osnabrück und Münster kritisch zu beleuchten sowie der persönliche Bezug zu beiden Städten, waren Motivationsgründe für die Erstellung der vorliegenden Arbeit. Doch die entscheidende Initialzündung hatte eine Veranstaltung „zur gesundheitlichen Situation von Flüchtlingen…“, die im Rahmen des Referates für ßkologie und Verkehr des Allgemeinen Studierenden Ausschuss der Fachhochschule Münster im Mai 2005 organisiert wurde. Als ReferentInnen waren eingeladen: Dr. Birgit Behrensen, Dr. Karim Mashkoori und Prof. Joachim Gardemann, die über die Situation der Flüchtlinge in Osnabrück und Münster berichteten.
Aufgrund der derzeit rasanten Entwicklungen der aufenthaltsrechtlichen Regelungen und gesetzlichen Umsetzungen auf Bundes- und Länderebene, und fast täglich neuen Meldungen, wurden ich in der vorliegenden Arbeit bis auf wenige Ausnahmen nur Daten bis inklusive 31. Januar 2007 berücksichtigt.
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