Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird auch in Niedersachsen immer häufiger die gesetzlich vorgesehene Unterbringung, Betreuung und Versorgung verwehrt. Die rechtlichen Standards nach dem SGB VIII, die eine angemessene Betreuung, Unterbringung und Versorgung aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Aufenthaltsstatus – sicherstellen sollen, wurden in den vergangenen Monaten sukzessive abgebaut – und dies, obwohl solche Einschränkungen nach SGB VIII unzulässig sind. Betroffen von dieser Aushöhlung des Jugendhilferechts sind (bislang) ausschließlich unbegleitete minderjährige Geflüchtete. So wurden bspw. die Anforderungen an die räumlichen Gegebenheiten für eine Unterbringung gesenkt, die Betreuungsschlüssen pro Jugendamtmitarbeiter:in erhöht und das Fachkräftegebot in der Jugendhilfe weitgehend außer Kraft gesetzt (siehe hierzu: Es ist 5 nach 12 …). Die Kindeswohlgefährdungen, die mit diesen Rückschritten in der Behandlung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge einhergehen, sind mit der Kinderschutzkonvention, zu deren Einhaltung die Bundesrepublik verpflichtet ist, vereinbar.
Um Jugendämter und Jugendhilfeträger zu unterstützen, senkte auch die niedersächsische Landesregierung im Oktober 2023 die sogenannte Fachkraftquote von 75 auf 50 Prozent. Für die Betreuung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen kann auch Personal eingesetzt werden, das nicht über eine sozialpädagogische Ausbildung verfügt.
Den Kommunalen Spitzenverbänden reicht das noch nicht: Am 17. Oktober letzten Jahres forderte der Niedersächsische Städtetag Bund und Land auf, das SGB XIII zu reformieren: Die Altersgrenze für den Rechtsanspruch auf Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht solle von 18 Jahren auf Jahre herabgesetzt werden – allerdings ausschließlich, sofern es unbegleitete minderjährige Geflüchtete betrifft. Damit würde minderjährigen Jugendliche, die ohne ihre Eltern flüchten mussten, ab dem 15. Lebensjahr die Unterstützung durch das Jugendhilfesystem entzogen und sie – in einer meist (noch) völlig fremden Umgebung – auf sich allein gestellt.
Das Sächsische Ministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt hat mit Erlass vom 28. September 2023 bereits Fakten geschaffen und festgelegt, dass männliche umF ab 16 Jahren in Aufnahmeeinrichtungen für Erwachsene untergebracht werden können.
Im Einklang mit den Fachdiensten der Jugendhilfe halten wir das Ansinnen des Städtetags für unerträglich, geflüchtete Jugendliche zu diskriminieren, in dem sie aus dem System der Jugendhilfe ausgeschlossen und sich selbst überlassen werden. Denn Kinder und Jugendliche brauchen Schutz und Unterstützung – ganz gleich, woher sie kommen.
Nachfolgend veröffentlichen wir einen Appell des Mädchenhaus zwei13 e.V. aus Hannover:
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„Wir sind uns bewusst, dass die aktuelle Situation eine große Herausforderung für die Kommunen bedeutet, und sehen auch, wie notwendig es ist, sich Gedanken darüber zu machen, wie diese Situation zu bewältigen ist. Als Trägerin einer Inobhutnahmestelle für Mädchen* unterstützen wir seit 2016 jugendliche Mädchen* und MINTA Personen, die auf Grund unterschiedlicher Notlagen auf Schutz und Unterstützung durch das Jugendamt angewiesen sind. Aus unserer Arbeit und Erfahrung heraus müssen wir Ihnen deutlich mitteilen, dass der Vorschlag, diesen Schutz und die Unterstützung geflüchteten Jugendlichen vorzuenthalten, unangemessen und nicht zielführend ist.
Wo keine Sorgeberechtigten verfügbar sind, ist es Aufgabe des Jugendamtes, jedem jungen Menschen sein „Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ geltend zu machen (SGB VIII §1 Abs.1.). Dieses Recht muss auch und gerade unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zugestanden werden. Gerade diese Jugendlichen haben oft lange keinen Schutz erfahren, sondern waren im Gegenteil auf ihrer Flucht zusätzlicher Belastung, gar Bedrohung ausgesetzt und haben dadurch sogar einen erhöhen Schutzbedarf.
Junge Menschen, die unbegleitet nach Deutschland eingereist sind, wollen ankommen, wollen dazugehören, wollen ihr Leben in diesem Land meistern. Sie haben meist niemanden, der ihnen Schutz und Unterstützung bieten kann. Ein Mindestmaß an Schutz kann ihnen nur im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe zuteil werden. Und aus Erfahrung wissen wir, dass dieser Schutz noch nicht einmal mit Sicherheit gleichzusetzen ist, denn sicher sind diese Jugendlichen in unserem Land nicht: nicht vor Umverteilungen, nicht vor Anfeindungen, nicht vor Diskriminierung, nicht vor Rassismus.
Die Antwort auf fehlende finanzielle und personelle Mittel in der Kinder-und Jugendhilfe darf nicht sein, dass junge Menschen – insbesondere Minderjährige – keinen ausreichenden Schutz erhalten.
Deutschland beruft sich auf Menschenrechte, auf Kinderrechte.
Deutschland hat sich dem Kinderschutz verpflichtet.
Deutschland will Integration fördern.
Dieses muss selbstverständlich für alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land gelten, jeder junge Mensch hat einen Anspruch auf Sicherheit, Schutz und Unterstützung.
Wir erleben jeden Tag, wie wichtig es ist, den geflüchteten Jugendlichen ihr Ankommen zu erleichtern und ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu geben. Ebenso wichtig ist es, sie zu unterstützen auf ihrem Weg in Schule und Ausbildung und sie beispielsweise zu begleiten, wenn sie medizinische oder psychosoziale Versorgung benötigen.
Diese Jugendlichen wollen ihr Leben in Deutschland meistern – und dazu brauchen sie die Jugendhilfe. Wir hören und erleben, dass es durchaus kreative Ideen gibt, wie Kommunen mit der Mangelsituation umgehen:
- Träger der Erziehungshilfe weiten ihre Angebote zur Verselbstständigung von Jugendlichen aus.
- Es wird darüber nachgedacht, zeitlich befristet auch auf Mitarbeiter*innen zu bauen, die nicht die derzeit geforderten Qualifizierungen mitbringen, mit der Möglichkeit, professionsübergreifend zusätzliche Potentiale zu nutzen und zu entwickeln.
- Kommunen kämpfen für besserer finanzielle Ausstattung.
- Kommunen wie die Stadt Leipzig entscheiden, trotz einer „Kann-Regelung“ des Landes, diese nicht umzusetzen.
Wir bitten Sie dringend, in Ihrer Position und in der Stadt Hannover in diese Richtungen weiterzudenken und zu handeln – innerhalb des rechtlichen Rahmens zum Schutz Minderjähriger!
Gerne sind wir bereit, daran auch weiter mitzuarbeiten.“
Liebes Team vom Flüchtlingsrat, liebes Mädchenhaus zwei 13, eine wichtige und richtige Stellungnahme! Hier dürfen die Gesetze nicht noch weiter zum Nachteil von Schutzbedürftigen aufgeweicht werden. Im Text sind mir einige Fehler aufgefallen. zum Beispiel, fehlt, auf welches Alter die Grenze herabgesetzt werden soll. Bitte nochmal drüberfliegen ;)