Veranstaltungsbericht: An den Grenzen des (Un)Rechts – Aktuelle Entwicklungen in der Asyl- und Migrationspolitik

Bericht von der Veranstaltung „An den Grenzen des (Un)Rechts – Aktuelle Entwicklungen in der Asyl- und Migrationspolitik“ mit Wiebke Judith und Marcus Engler am 16.11.2023 in der VHS Osnabrück. (Eine Kooperation mit der Seebrücke Osnabrück)

Mit zunehmender Fassungslosigkeit haben wir die migrationspolitischen Debatten der letzten Wochen und Monate verfolgen müssen. Wir sind bestürzt, wie wenig öffentlicher Widerspruch sich geregt hat und sichtbar werden konnte. Gleichzeitig nehmen wir wahr, dass dieses Unbehagen von vielen geteilt wird, die einer offenen Gesellschaft verpflichtet bleiben und der rechten Diskursverschiebung Einhalt gebieten wollen. (Inspiriert durch die „Berliner Erklärung“ und das Satetement „Solidarität ist keine Sonntagsrede„.)

VA Judith Engler Weber Buente 16.11.2023 OS
Engler, Buente, Judith, Weber, Duecker (Technik, v.l.n.r.) 16.11.2023 OS

Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht, mit einer kleinen Veranstaltungsreihe Diskussionsräume und Begegnungen zu schaffen, in denen wir zentrale Fragen der Zukunft des Flüchtlingsschutzes besprechen und Schritte des gemeinsamen Handelns verabreden können.

Den Auftakt dazu haben wir am 16.11.2023 in der VHS Osnabrück zusammen mit der Seebrücke Osnabrück gemacht. Bei dieser sehr gut besuchten Veranstaltung unter dem Titel: „An den Grenzen des (Un)Rechts – Aktuelle Entwicklungen in der Asyl- und Migrationspolitik“ haben wir mit Wiebke Judith und Marcus Engler gesprochen. Wiebke Judith ist rechtspolitische Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Dr. Marcus Engler arbeitet als Migrationsforscher am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Die Moderation hatte Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen

Konkreter Hintergrund des Abends waren die Verschärfung auf allen Ebenen der deutschen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik. Sowohl an den Außengrenzen der EU als auch in Deutschland werden neue Gesetze zur Abwehr und Abschreckung beschlossen, das individuelle Recht auf Asyl wird in Frage gestellt. Die politische Stimmung wird gegen Schutzsuchende angeheizt, ihre Rechte und Nöte treten in den Hintergrund. Migration, die Mutter aller Gesellschaften, wird zur Bedrohung umgedeutet.

VA Judith Engler Plenum 16.11.2023 OS
VA Judith Engler Plenum 16.11.2023 OS

Wiebke Judith hat den Abend am 16.11.23 mit einem Input zum aktuellen Stand der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) eröffnet, auf die sich der Rat der EU-Innenminister:innen am 8. Juni 2023 geeinigt hat. Darin beleuchtete sie a) die Auslagerung an letztlich unsichere außereuropäische Drittstaaten, b) die Grenzverfahren unter Haftbedingungen an den Außengrenzen und c) die Negation der tatsächlich nötigen Verbesserungen für Schutzsuchende. Letztlich, so Judith, werden wir der Aushebelung des Internationalen Flüchtlingsschutzes gewahr. Eines Flüchtlingsschutzes, wie er, so Kai Weber, nach 1945 als Lehre aus den Deutschen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Flucht und Vertreibung Hunderttausender erkämpft wurde. Auch, und damit gab sie der Empörung der vielen Gäste im Publikum wieder, die deutsche Bundesregierung samt den GRÜNEN stimmte diesem Ausverkauf der Menschenrechte zu. Dabei wird sogar die höchstrichterliche Ablehnung des GB:Ruanda-Deals nicht als Mahnung verstanden, die Hände von diesen bilateralen Unrechts-Vereinbarungen zu lassen, sondern nur als Ansporn genommen, andere kooperierende Staaten zu finden, an die man Asylverfahren auslagern kann.
Marcus Engler wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die aktuellen Entwicklungen nicht unter dem Motto „Humanität und Ordnung“ gefasst werden können, wie es der niedersächsische Ministerpräsident Weil in seiner Regierungserklärung am 08.11.2023 zu kaschieren versucht. Vielmehr werde immer klarer, das immer mehr „Gewalt und Rechtsbruch“ die tatsächlich zentralen Folgen europäischer Asylpolitik sind. Dabei, so Engler, erscheint Politik im Feld der Flucht-Migration zunehmend als hilflose, aber wortgewaltige Inszenierung, mit der den Wähler:innen eine Autorität vorgegaukelt wird, mit der zwar der AfD das Wasser abgegraben werden soll, die aber materiell kein einziges Problem löst. Alle bis dato geplanten Änderungen würden wohl die Menschenrechtssituation Geflüchteter verschärfen (Haft, Verlängerung unsicherer Aufenthalte, Zunahme gewaltvoller pushbacks und Grenzkontrollen), am Migrationsgeschehen aber materiell nichts ändern. Absurd darin z.B. die aktuellen Versuche, mit einer Bezahlkarte spürbaren Einfluss auf Wanderung zu nehmen, erschreckend aber auch diese Form der Ausgrenzung und Diskriminierung, die mit neuen technologischen Mitteln eingeführt wird.

Die abschließende Frage aus dem Publikum war die nach unserer Form der Intervention in diese rassistische Diskursverschiebung. Welche Sprecher:innenposition nehmen wir angesichts des wachsenden Unrechts ein? Gilt unsere Solidarität (als Internationalist:innen) den Menschen in der Flucht-Migration? Sprechen wir als Hüter:innen der Reste Internationaler Schutzabkommen (wie der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)? Oder brauchen wir neue gemeinsame Stimmen aus der postmigrantischen, neue Bündnisse in der offenen Gesellschaft? Bündnisse, die auf die Herausforderungen für die soziale Sicherheit jedes Einzelnen in der globalisierten, neoliberalen Welt neue Antworten findet. Fragen, die die Veranstaltungsteilnehmer:innen mit nach Hause nahmen und die uns auf den folgenden Veranstaltungen noch begleiten werden.

Der Videomitschnitt der Veranstaltung liegt hier auf unserer youtube-Plattform zum download / stream bereit.

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