Friedrich Merz missbraucht das Leid der Verletzlichsten

Kommentar des Flüchtlingsrat Niedersachsen zu den Aussagen des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz im ZDF-Sommerinterview (ab ca. 09:30 Min.):

Muzaffer Öztürkyilmaz, Geschäftsführung, Flüchtlingsrat Niedersachsen

Anstatt Brandmauern aufrechtzuerhalten, baut Merz der AfD Brücken. Es gibt keinen Missbrauch des Asylrechts. Die Anerkennungsquote von Asylanträgen ist auf einem historischen Höchststand. Es ist scheinheilig, wie der CDU-Vorsitzende das Leid der Verletzlichsten missbraucht und seinen Angriff gegen das Flüchtlingsrecht fortsetzt, indem er die Aufnahme von Frauen bzw. Kindern fordert und Männern gleichzeitig das Recht auf Schutz abspricht. Nach dem EU- und Völkerrecht ist es nicht zulässig, das individuelle Recht auf Asyl durch Aufnahmekontingente zu ersetzen. Auch ist die Einreise von Geflüchteten nicht illegal, wenn sie im Anschluss Asyl beantragen. Es ist perfide, gerade Geflüchtete, die am häufigsten von dem grassierenden Rassismus betroffene Personengruppe, zu Sündenböcken für die Wahlerfolge der AfD zu erklären. Die Strategie der Union gegen den Rechtsruck beschränkt sich anscheinend darauf, Geflüchtete zu dämonisieren und der AfD in nichts nachzustehen oder neuerdings gleich gemeinsame Sache mit ihr zu machen.“

Kontakt

Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz, Geschäftsführung
0511 – 98 24 60 38
moy(at)nds-fluerat.org, nds(at)nds-fluerat.org

Hintergrund

1. Das individuelle Asylrecht sollte abgeschaffte und Pushbacks sollten erlaubt werden

Diese Forderungen sind populistisch. Keine Bundesregierung kann das individuelle Asylrecht ohne weiteres abschaffen. Die Recht von Schutzsuchenden auf ein individuelles Asylverfahren und die Pflicht Deutschlands zur individuellen Prüfung ihrer Asylanträge ergibt sich völkerrechtlich aus der Genfer Flüchtlingskonvention und  europarechtliche aus der sog. Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU). Selbst wenn die Bundesrepublik aus der Flüchtlingskonvention austreten würde, wäre sie weiterhin an ihre Verpflichtung aus der Verfahrensrichtlinie gebunden. Selbiges gilt für die Forderung nach Pushbacks. Vor allem: Selbst wenn das individuelle Asylrecht abgeschafft werden würde, würden Menschen immer noch in Deutschland ankommen. Dazu, was dann passieren soll, äußert sich Merz nicht.

2. Das Asylrecht werden in Deutschland zu hunderttausendfach missbraucht

Diese Aussage ist sachlich falsch und vermessen. Merz diskreditiert mit dieser Aussage insbesondere die Fluchtgründe männlicher Geflüchteter und degradiert sie dadurch zu Geflüchteten zweiter Klasse. Im Jahr 2022 erhielten fast Dreiviertel der Schutzsuchenden, über deren Schutzbegehren inhaltlich entschieden wurde, vom BAMF einen Schutzstatus (sog. „bereinigte Schutzquote“). Hinzu kommt, dass mehr als ein Drittel (37 %) der ablehnenden Bescheide des BAMF durch die Gerichte oder vom BAMF korrigiert werden: Etwa 40.000 Asylsuchende, die vom BAMF zunächst abgelehnt worden waren, erhielten im Jahr 2022 dann doch noch einen Schutzstatus zugesprochen. Die drei Hauptherkunftsländer waren dabei Syrien, Afghanistan und die Türkei.

3. „Diejenigen, die unsere Hilfe wirklich bräuchten“, blieben zurück

Diese Aussage ist bigott. Ginge es Merz tatsächlich um die gezielte Hilfe für besonders schutzbedürftige Personen wie Kinder, Frauen oder älteren Menschen, so sollten er und seine Partei sich zumindest für sichere Fluchtwege – bspw. durch die Möglichkeit Asyl in deutschen Botschaften zu beantragen oder über Aufnahmeprogramme einzureisen – oder Verbesserungen im Asylverfahren für diese Personengruppen einsetzen. Mit beidem ist die Union bislang nicht in Erscheinung getreten. Zudem zeigt nicht zuletzt das Unglück von Pylos, dass auch Frauen und Kinder mangels Alternativen gezwungen werden, in seeuntüchtige Boote zu steigen, um ihr Leben in Sicherheit zu bringen.

4. Forderung nach mehr Grenzkontrollengre

Diese Forderung ist ebenfalls populistisch. Zum einen sind regelmäßige Grenzkontrollen an den europäischen Binnengrenzen rechtswidrig. Zum anderen sind Grenzkontrollen kein geeignetes Mittel, um die Einreise von Schutzsuchenden zu verhindern, da – wie Merz selbst feststellt – Pushbacks innerhalb der EU gegen die sog. Dublin-Verordnung verstoßen.  Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, insbesondere Geflüchtete, aber auch andere Menschen ohne deutschen Pass, sollen ins Licht der Kriminalität gerückt werden. Zumal es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass massenhaft Menschen unregistriert, d.h. ohne jeglichen Kontakt zu Behörden in Deutschland leben. Hinzu kommt, dass Geflüchtete überhaupt keine Möglichkeit haben, mit einem Visum einzureisen und ihre Einreise nicht strafbar ist, sofern sie im Anschluss Asyl beantragen.

Im ZDF-Sommerinterview betonte der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz erneut, dass er die Abschaffung des individuellen Asylrechts zugunsten eines Kontingents von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftigen pro Jahr, die direkt aus dem Ausland aufgenommen und innerhalb der EU verteilt werden, für eine „sehr gut erwägenswerte Idee“ halte. Derzeit werde das individuelle Recht auf Asyl von starken jungen Männern, „die sich auf die Flüchtlingsboote begeben können“, missbraucht. Dabei blieben „diejenigen, die unsere Hilfe wirklich bräuchten“ namentlich „Frauen, ältere Menschen und Kinder“ zurück. Wenn dieses Problem gelöst werde, werde „die AFD auch wieder kleiner. Zugleich stellte er das Verbot von Pushbacks in Frage und forderte eine Kontrolle der EU-Binnengrenzen.

 

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