Die Initiative „Hannover Solidarisch“, die in Kooperation mit dem Flüchtlingsrat Niedersachsen Gefangene in der Abschiebungshaftanstalt in Hannover-Langenhagen besucht und auch auf andere Weise unterstützt, hat anlässlich der anstehenden Landtagswahl in Niedersachsen die im Landtag vertretenen demokratischen Parteien CDU, SPD, FDP und Grüne hinsichtlich ihrer Haltung zur Abschiebehaft befragt. Dabei weichen die Fragen an Bündnis90/Die Grünen etwas von den Fragen an die anderen drei Parteien ab. Beide Anschreiben dokumentieren wir hier:
Schreiben von „Hannover Solidarisch“ an die CDU, FDP und SPD in Niedersachsen
Schreiben von „Hannover Solidarisch“ an Bündnis90/Die Grünen in Niedersachsen
Die Antwortschreiben, in den die niedersächsischen Parteien ihre Position erläutern, dokumentieren wir hier:
Antwortschreiben_CDU_Niedersachsen
Antwortschreiben_FDP_Niedersachsen
Antwortschreiben_SPD_Niedersachsen
Antwortschreiben_Bündnis90/Die Grünen_Niedersachsen
Zusammenfassung der Antworten:
Die unseres Erachtens wichtigsten Aussagen aus den Antworten der Parteien an die Initiative Hannover Solidarisch haben wir nachfolgend zusammengefasst.
CDU:
Mit großen Versprechen macht uns die CDU Hoffnung auf einen Paradigmenwechsel in ihrer Partei: „Für die CDU Niedersachsen ist es wichtig, Menschen auf der ganzen Welt, vor Leid, Verfolgung und Unterdrückung zu schützen“. Anschließend wird jedoch diese Hoffnung mit der Aussage wieder zunichte gemacht, dass Abschiebungshaft aus Sicht der niedersächsischen CDU zum selbstverständlichen Instrumentarium für die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht gehört.
Der Tatsache, dass zahlreiche Haftbeschlüsse durch Gerichte als rechtswidrig beurteilt werden, will die CDU mit einer „wirksamen Kontrolle und Sensibilisierung“ der Ausländerbehörde „für Fragen der Anordnung von Abschiebungshaft und des Abschiebungshaftvollzugs“ begegnen1 . Überdies will sich die Partei dafür einsetzen, dass nach den Landtagswahlen ein Abschiebungshaftvollzugsgesetz vorgelegt und verabschiedet wird. Auf den bereits vorliegenden Gesetzentwurf der derzeitigen Landesregierung wird nicht Bezug genommen.
Die Bestellung eines „Pflichtverteidigers“ für Menschen, gegen die Abschiebungshaft angeordnet wird, wie es sie auch für Menschen in Untersuchungshaft gibt, hält die CDU Niedersachsen „nicht für erforderlich“. Die Betroffenen könnten sich eigenständig einen Rechtsbeistand nehmen. Dabei lässt die CDU offen, wie Menschen, denen es oftmals an finanziellen Mitteln, Sprachkenntnissen und einschlägigen Kontakten fehlt, sich aus dem Gefängnis heraus selbstständig einen Rechtsbeistand nehmen sollen.
Bemerkenswert ist, dass die CDU ein „großes Engagement von Flüchtlingsorganisationen, die den Abschiebungshäftlingen wichtige Beratungs- und Unterstützungsleistungen anbieten“ anerkennt und sich dafür einsetzen will, dass dieses System erhalten und fortgeführt wird. Die CDU stellt fest: „Dazu gehört insbesondere die fortlaufende staatliche Unterstützung der Organisationen, die in der Flüchtlings- und Migrationsberatung tätig sind“. Daraus leiten wir als Flüchtlingsrat die Erwartung ab, dass im Falle einer Regierungsbeteiligung der CDU auch in Niedersachsen eine unabhängige Beratung von Abschiebungshaftgefangenen – wie in den Jahren 2016 bis 2018 – aus Landesmitteln finanziert wird (Derzeit bietet der Flüchtlingsrat in der niedersächsischen Abschiebungshaft in Langenhangen Gefangenen eine Beratung an. Für diese Beratung erhalten wir einen Zuschuss von der Caritas Niedersachsen, für den wir dankbar sind, der den tatsächlichen Bedarf jedoch leider nicht deckt).
SPD:
Die SPD betont angesichts der Belastung, die Abschiebungshaft für die Menschen mit sich bringt, die Notwendigkeit verbindlicher und präziser gesetzlicher Regelungen, die mit dem Abschiebungshaftvollzugsgesetz noch diese Wahlperiode auf den Weg gebracht werden sollen (Dieses Vorhaben ist offensichtlich in dieser Legislaturperiode gescheitert.2
Die Abschiebungshaft will die SPD nicht grundsätzlich abschaffen, für Kinder und Jugendliche gelte es aber, diese „auszuschließen und restriktiver anzuwenden“. Diese Formulierung lässt leider immer noch ein Hintertürchen für die Inhaftierung von Kindern und Jugendlichen offen . Wünschenswert wäre vielmehr ein ausdrückliches Bekenntnis, Kinder und Jugendliche unter keinen Umständen in Abschiebungshaft zu nehmen.
Erfreulich ist hingegen das Versprechen der SPD „Beratungsangebote für Migrant:innen“ auszubauen. Sollte die SPD auch in der kommenden Legislaturperiode Regierungsverantwortung haben, werden wir sie gerne an dieses Versprechen erinnern und auch von ihr die Einrichtung einer aus Landesmitteln finanzierten Abschiebungshaftberatung einfordern.
Der Frage, ob die SPD die Abschiebungshaft angesichts der Tatsache, dass zahlreiche Haftbeschlüsse nach nochmaliger Prüfung durch die Gerichte als rechtswidrig aufgehoben werden, für vereinbar mit rechtsstaatlichen Prinzipien hält3 , weicht sie aus, indem auf den Gesetzentwurf zum Abschiebungshaftvollzugsgesetz verweist. Dieses Gesetz wird jedoch, sollte es jemals kommen, an diesem untragbaren Zustand nichts ändern, denn ein Anspruch auf Rechtsberatung bzw. eine Rechtsvertretung wird den Gefangenen dadurch nicht gewährt werden. Zwingend notwendig ist vielmehr die Beiordnung eines „Pflichtverteidigers“, um rechtsstaatlichen Grundsätzen Wirkung zu verschaffen. Ein:e solche Pflichtverteidiger:in hält die SPD Niedersachsen auch für ein geeignetes Mittel, verweist jedoch darauf, dass es diesbezüglich im Koalitionsvertrag der Bundesregierung „keine Festlegung“ gäbe. Sofern die SPD auch an der künftigen Landesregierung beteiligt ist, wünschen wir uns von ihr eine entsprechende Gesetzgebungsinitiative im Bund.
Vage bleibt die SPD bei der Frage, ob und wie zukünftig eine unabhängige Rechtsberatung in der Abschiebungshaft finanziert und gewährleistet werden soll. Zwar ist sie der Ansicht, dass diese eine wichtige Rolle einnehme, sodann verweist die Partei aber auf das geplante Abschiebungshaftvollzugsgesetz und setzt an Stelle der Stärkung der Rechte der Gefangenen – jegliche realen Machtverhältnisse ignorierend – auf „einvernehmliche Konfliktlösung“ zwischen Inhaftierten und JVA (-Leitung).
FDP:
Die FDP hält an der Abschiebungshaft als Zwangsmittel zur Durchsetzung einer Ausreisepflicht fest und geht dabei von der (falschen) Annahme aus, dass die Haft einzig Menschen beträfe, „die sich beharrlich weigern und sich wiederholt ihrer Ausreisepflicht entziehen“. Dabei weist die Initiative schon in ihrem Schreiben auf Fälle hin, bei denen Menschen inhaftiert wurden, die genau das nicht taten. Auch die (ebenfalls falsche) Annahme, dass Menschen die Haft beenden könnten, wenn sie „freiwillig und ohne Widerstand“ der gesetzlichen Ausreisepflicht nachkämen, macht deutlich, dass die FDP sich allenfalls oberflächlich mit Fragen rund um die Abschiebehaft auseinander gesetzt hat.
Die FDP wird sich mithin nicht für die Abschaffung der Abschiebungshaft einsetzen.
Auch die FDP setzt große Hoffnung in das geplante Abschiebungshaftvollzugsgesetz, wenn es darum geht, Abschiebungshaft in Einklang mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu bringen.
Für eine:n Pflichtverteidiger:in spricht sich die FDP nicht aus, jedoch für niedrigschwelligen Zugang zu Rechtsberatung, allerdings ohne dabei auszuführen, wie dieser ausgestaltet werden soll. Zwar befürwortet die Partei eine unabhängige Beratung, sieht deren Finanzierung durch das Land aber „kritisch“, da das rechtsstaatliche Verfahren abgeschlossen sei. Eine erstaunliche Aussage angesichts der Tatsache, dass „Hannover Solidarisch“ in seinem Schreiben auf die zahlreichen Fälle hingewiesen hat, bei denen die Rechtswidrigkeit der Haft festgestellt wurde.
Bündnis 90/Die Grünen:
Bündnis 90/Die Grünen verweist darauf, dass Abschiebungshaft auf Bundesebene geregelt ist und in Niedersachsen nur das „Wie“ gestaltet werden kann. Daher setzen auch die Grünen auf das Abschiebungshaftvollzugsgesetz, dessen Entwurf sie für verbesserungswürdig halten. Da die Abschiebungshaft bundesgesetzlich geregelt ist und daher angewendet werden müsse, hält die Partei es für besser, , „die Abschiebungshaft nach niedersächsischen Regeln und unter niedersächsischer Kontrolle zu vollziehen“, so lange sie nicht abgeschafft ist.
Aus Sicht der Grünen würde ein:e „Pflichtverteidiger:in“ die Rechtsstellung der Abschiebungsgefangenen deutlich verbessern und Fehlentscheidungen entgegenwirken. Hier wünschen wir uns auch von den Grünen im Falle einer Regierungsbeteiligung, dass sie sich auf Bundesebene für die Beiordnung eine:r „Pflichtverteidigerin“ für Abschiebungshaftgefangene einsetzen.
Eine durch Landesmittel finanzierte Beratung in der Abschiebungshaft würden die Grünen sehr begrüßen. Daran wollen wir auch die Grünen im Falle einer Regierungsbeteiligung gerne erinnern.
1 An dieser Stelle sei angemerkt, dass Abschiebungshaft nicht von der Ausländerbehörde angeordnet, sondern lediglich beim Amtsgericht beantragt werden kann. Allerdings übernehmen viele Haftrichter:innen anscheinend weitgehend ungeprüft Argumentationen und bisweilen auch Formulierungen der Ausländerbehörden.
2 Mit der Verabschiedung eines Abschiebungshaftvollzugsgesetzes durch den Landtag ist vor den Wahlen nicht mehr zu rechnen. Damit wird Abschiebungshaft in Niedersachsen weiterhin in einer rechtlichen Grauzone vollzogen.
3 Neben Rechtsanwalt Fahlbusch führt die Initiative auch Richterin am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Johanna Schmidt-Räntsch als Zeugin an, die über Abschiebungshaftfälle ausgeführt hat, dass die hohe Anzahl an rechtswidrigen Haftbeschlüssen eines Rechtsstaats unwürdig sei.
Forderungen zur Landtagswahl mit Bezug zur Asyl- und Flüchtlingspolitik
Forderungen des Flüchtlingsrat Niedersachsen zur Landtagswahl 2022
Der Flüchtlingsrat hatte am 7. September seine Forderungen zur Landtagswahl veröffentlicht, die auch die Abschaffung der Abschiebungshaft umfassen.
Forderungen der Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen und des Flüchtlingsrat zu Unterbringung und Gesundheitsversorgung
In einem gemeinsamen Papier stellen die Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen und der Flüchtlingsrat Niedersachsen zur Landtagswahl Forderungen, die eine bessere Gesundheitsversorgung und die Gewährung von Mindeststandards bei der Unterbringung und dem Gewaltschutz sicherstellen sollen.
Forderungen des Bündnisses „Niedersachsen zum sicheren Hafen für alle“
An dem Bündnis, bestehend aus Initiative, migrantischen Selbstorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden, ist der Flüchtlingsrat beteiligt.
Wahlprüfsteine des Netzwerks für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen (NTFN)
Die Parteien Bündnis90/Die Grünen, CDU, FDP und SPD beantworten Fragen des NTFN zum Thema „Gesundheit für alle“, die sich an den Forderungen des „Bündnisses Niedersachsen zum sicheren Hafen“ orientieren.
Wahlprüfsteine vom Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover e.V. (UFU)
UFU hat die Parteien zu den drei Themenblöcken „Gute Bildung für alle“, „Beruflichen Einstieg fördern“ und „Solidarität kennt keine Nationalität“ befragt
Forderungen des Paritätischen Wohlfahrtsverband Niedersachsen
Unter dem Titel „Damit wir sozial bleiben“ hat der Paritätische Niedersachsen, dem auch das NTFN (Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen) angehört, Forderungen zur Landtagswahl formuliert
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