Demonstrant:innen fordern weiter lückenlose Aufklärung!
„My heart burns for Aman; my friend, my brother Aman. I miss him and our daily conversations.
And I am left with these questions: Why? How could it have happened? And how might justice be done so that it doesn’t ever happen again?“ (Rahmat Alizada)
Am 2. Todestag von Aman Alizada fanden sich am 21.08.2021 rund 150 Menschen zusammen, um dem getöteten jungen Menschen zu gedenken und um erneut auf die mangelnde Aufklärung und fehlenden Konsequenzen des tödlichen Polizeieinsatz aufmerksam zu machen. Aufgrund der tragischen Ereignisse in Afghanistan im Zuge der Machtübernahme durch die Taliban wurde auch über die dortige Situation und Folgen für die afghanische Bevölkerung gesprochen und der Schutz und die Evakuierung der gefährdeten Menschen gefordert.
Zum Hintergund: Aman Alizada. Tödlicher Polizeieinsatz in Stade
Nachfolgend dokumentieren wir einzelne Redebeiträge der Demonstration vom 21.08.2021 in Stade:
Redebeitrag von Rahmat Alizada , Bruder des Verstorbenen
Redebeitrag der Initiative Aman Alizada der Initiative Aman Alizada
Redebeitrag von Dörthe Hinz für den Flüchtlingsrat Niedersachsen
Redebeitrag von Dorothea Hoffmann, ehemalige Betreuerin
Für weitere Informationen: https://initiativeamanalizada.blackblogs.org/
https://www.instagram.com/initiative_aman_alizada/
Redebeitrag von Dörthe Hinz für Flüchtlingsrat Niedersachsen:
Tötung von Aman Alizada am 21.08.2019
Zwei Jahre sind vergangen seit dem tragischen Tod des 19 jährigen Aman Alizada. Tod durch Schüsse aus der Pistole eines Polizisten. Der Tod von Aman Alizada bei einem Polizeiansatz am 17. August 2019 in Stade wirft weiterhin Fragen auf, die beantwortet werden müssen.
Auch heute machen das Geschehen, der Tod, die Todesumstände und die Erinnerung daran betroffen und traurig. Es bleibt unbegreiflich, dass dieser junger Mensch gestorben ist, gestorben im Rahmen eines Polizeieinsatzes, der bis heute nicht lückenlos aufgeklärt ist.
Ich wiederhole mich. Dies waren die gleichen Sätze, mit denen ich letztes Jahr meinen Redebeitrag begonnen habe. Das Schlimme daran: Sie sind weiter aktuell, denn in den vergangene zwei Jahren hat sich nichts geändert.
Das ist ein Skandal. Doch scheinbar nicht für die Polizei und die Staatsanwaltschaft Stade. Von Anfang an erweckten die Polizei und die Staatsanwaltschaft den Eindruck, als würden sie die Akten lieber schließen.
Doch das werden wir nicht zulassen. Denn hinter dieser Akte steckt ein Menschenleben, hinter dieser Akte steckt Aman. Wir werden dafür sorgen, dass sie nicht geschlossen wird, solange unsere Fragen unbeantwortet sind. Und wir werden dafür sorgen, dass Aman nicht in Vergessenheit gerät.
Der Polizei war Amans psychische Erkrankung bekannt, als sie am Abend des 17.8. 2019 zu seiner Unterkunft fuhr. Wieso stirbt ein junger Mann, der sich allein in einem Zimmer befindet, der keine unmittelbar tödliche Waffe bei sich trägt und niemanden in Gefahr bringt. Wieso wird er umgeben von vier Polizisten und Polizistinnen getötet?
Nach den beschämenden Versuchen der Staatsanwaltschaft, die Polizei ohne Gerichtsverfahren freizusprechen,, hatte die Beschwerde des Anwalts Erfolg. Der Berichterstattung konnten wir letzte Woche entnehmen, es könne nun auch nach den nun vorliegenden Ergebnissen weiterhin von „glasklarer“ Notwehr durch die Polizei ausgegangen werden.Was konkret für diese Behauptung sprechen soll, ist der Berichterstattung jedoch nicht zu entnehmen.Wir sind gespannt, auf die angekündigte Erklärung zur vermeintlich so glasklaren Notwehr, die es bis heute nicht gibt. Ich möchte mich auch an dieser Stelle nochmal wiederholen: Notwehr wäre nur dann gegeben, wenn keine andere Möglichkeit bestand , aus der lebensbedrohlichen Situation anders herauszukommen.
Solange die Antworten und Erklärungen auf unsere Fragen ausbleiben , werden wir uns immer wieder wiederholen. Immer und Immer wieder. Es gehört zu den Grundlagen einer Demokratie, dass sich die Polizei Fragen stellen lassen muss, wenn bei ihren Einsätzen Menschen geschädigt oder gar getötet werden. Und diese Fragen müssen auch beantwortet werden.
Es ist doch alarmierend, wenn die Polizei nicht in der Lage ist, solch eine Konfliktsituation anders zu lösen, als mit einem tödlichen Schusswaffeneinsatz.
Wir fragen also wieder: Wieso, wieso haben sich die beiden Beamten gewaltsam mit einem Tritt Zutritt zum Zimmer von Aman verschafft und damit ganz eindeutig die Gefahrensituation verschärft? obwohl Aman Alizada allein im Raum war und weder sich noch andere gefährdete. Das offenbar bewusste Herbeiführen einer Eskalation durch den Polizisten, welches erst die vermeintliche Notwehrsituation erzeugt haben soll, kommentierte die Staatsanwaltschaft mit den folgenden Worten, dass: die taktische Rechtfertigung bzw. Klugheit des Handelns hinterfragbar sein könnte, dass dies aber nicht Gegenstand des Verfahrens sei.
Damit stellt sie einen Freibrief für polizeiliches Handeln aus und sendet ein fatales Signal an die Bevölkerung. Wann immer Polizist*innen unüberlegt oder unkontrolliert handeln, erzeugen nach dieser Logik die Bürger*innen die Notwehrsituation selbst.Polizeiliches Handeln wird so jeglicher der Kritik entzogen. Das kritisieren wir zutiefst.
Wir wiederholen auch noch ein paar Fragen:
Lag überhaupt eine Notwehrsituation vor?
Stand Aman überhaupt oder lag oder saß er nicht vielleicht sogar? Vor allem die Ergebnisse zu den Einschusswinkeln lassen einen anderen Schluss zu.
Warum wurden nicht weitere Einsatzkräfte angefordert?
Warum wurde nicht in Arm oder Bein geschossen?
Die psychische Erkrankung von Aman war der Polizei bekannt.
Warum wurden nicht frühzeitig der sozialpsychiatrische Dienst, psychologische Fachleute oder andere medizinische Hilfe eingebunden?
Es sind nun also 2 Jahre vergangen, zwei Jahre in der wir nicht im Ansatz Antworten, Aufklärung, Transparenz erfahren haben.
Wir erwarten jetzt, dass die Celler Generalstaatsanwaltschaft, alle Aspekte des Ablaufes und der vorliegenden Erkenntnisse in Betracht zieht und ein öffentliches Gerichtsverfahren zur tatsächlichen Klärung des Tathergangs ermöglicht
Wir erwarten, dass es eine restlose Aufklärung gibt. Und der richtige Ort dafür ist das Gericht!
Rettung und Schutz von Menschen in Afghanistan und auf der Flucht!
Aman ist geflüchtet aus Afghanistan.Geflüchtet, wie viele Andere vor Krieg und Gewalt, auf der Suche nach Schutz und Sicherheit. Afghanistan ist laut global peace index seit Jahren das unsicherste Land der Welt. Und seit Jahrzehnten sind Afghan:innen gezwungen aus dem Land aufgrund von Krieg, Verfolgung und weiterer Gewalt zu fliehen, um Ihr Leben in Sicherheit zu bringen.
Mit Entsetzen, in großer Sorge und auch Wut verfolgen wir die dramatischen Entwicklungen in Afghanistan, wo die Taliban die Macht übernommen haben und tausende Menschen verzweifelt versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Ein öffentliches Leben, aus dem Frauen und Frauenrechte von jetzt auf gleich fast komplett verschwunden sind.
Wir sind entsetzt über das beschämende und menschenfeindliche Verhalten der politisch Verantwortlichen in Deutschland, die bis wenige Tage vor der Machtergreifung der Taliban in erster Linie darauf bedacht waren, die mittlerweile zusammengebrochene Regierung unter Druck zu setzen, damit diese weitere Abschiebungen hinnimmt.
Die Bundesregierung und die allermeisten Landesregierungen – so auch Niedersachsens – haben die verschiedenen Lebensgefahren, denen die Menschen in Afghanistan ausgesetzt sind, – wider besseren Wissens – jahrelang geleugnet. Auf Basis geschönter Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan und realitätferner Begründungen haben sie bis zuletzt an der Politik der Abschiebungen festgehalten. Niedersachsen hat sogar seinen Flughafen in Langenhagen für Sammelabschiebungen nach Afghanistan zur Verfügung gestellt.
Auch wurde an der Politik der Ablehnung von Asylanträgen festgehalten. Erst heute wurde bekannt, dass noch im Juli ein Massaker an der ethnischen Minderheit der Hazara verübt wurde. Auch Aman gehörte der Hazara an.. Eine Minderheit, die ständiger Verfolgungen ausgesetzt ist. Das BAMF behauptete trotzdem bis zuletzt, dass dies nicht der Fall. So sprach die Bundesregierung im Asylverfahren immer noch von den vermeintlich sicheren Regionen, weshalb es die Asylanträge der meisten schutzssuchenden Jugendlichen und jungen Männern aus Afghanistan ablehnte .
Viele junge Menschen, die ich über Jahre begleitet habe, denen ich erklären sollte, warum sie im Asylverfahren abgelehnt wurden, müssen jetzt Tag und Nacht um das Leben ihrer Familien fürchten. Was für ein grausamer Zynismus. Es ist unerträglich.
Die selben Politiker:innen im Bund- und in den Ländern, die Jahrelange die Ablehnung von Asylanträgen befürwortet, Abschiebungen veranlasst und den Familiennachzug blockiert haben, heucheln nun, wie überrascht und betroffen sie – trotz zahlreicher Warnungen – von der Machtergreifung der Taliban sind. Es sind dieselben politisch Verantwortlichen, die die Evakuierung, der Personen, die für oder mit deutschen Einrichtungen und Behörden zusammen gearbeitet haben sowie Mitarbeitende von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen sehendes Auges versäumt haben.
Während vielen Afghan:innen vor Ort Angst um ihr Leben haben müssen , panisch versuchen über den Flughafen Kabul das Land zu verlassen und ihre Angehörigen in Deutschland die Situation vor Sorge kaum ertragen können, haben manche Politiker*innen in Deutschland nichts Besseres zu tun, als das rechtspopulistische Mantra »2015 darf sich nicht wiederholen« aus der Schublade hervorzukramen. Das ist angesichts des Leids in Afghanistan nicht nur menschenverachtend, es ignoriert auch die Situation vor Ort. Denn aktuell droht Afghanistan für viele Menschen zur Falle zu werden, zur tödlichen Falle. Wie surreal ist es, dass Deutschland noch am (10.08 !) nach Afghanistan abschieben wollte?
Mit Menschenrechten hat das alles nichts mehr zu tun. Grausamkeit und Ignoranz der Bundes- und Landesregierung siegen über Menschlichkeit. Es zeigen sich jetzt auf ganz tragische Art und Weise die Folge dieser unmenschlichen deutschen Asyl- und Abschiebepolitik, die schon vor langer Zeit hätte beendet werden müssen. Es ist ein Versagen der Bundespolitik mit tödlichen Folgen.
Wie diese Menschen, die politischen Entscheidungsträger:innen noch schlafen können, weiß ich nicht. Wir können es kaum noch …
Wir fordern:
- schnelle und unbürokratische Evakuierung der gefährdeten Menschen solange wie möglich – auch aus den Nachbarländern Afghanistans
- Neben einem Bundesaufnahmeprogramm fordert wir auch Landesaufnahmeprogramm für die Aufnahme bes. gefährdeter Afghanen NDS (sichere Häfen). Wir fordern Innenministerium zum schnellen Handeln auf.
- einen unbefisteten. Abschiebungsstopp nach Afghanistan und ein Bleiberecht für alle geflüchteten Afghan:innen ohne Aufenthaltstitel in Deutschland, offene Asylerfahren müssen positiv entschieden und zwar schnell
Wir stehen an der Seite der bedrohten afghanischen Bevölkerung!
Afghan:innen und Afghanen, unsere Freund und Freund:innen, unserer Kolleg:innen und Kollegen unsere Mitmenschen brauchen jetzt Schutz und Unterstützung – in Afghanistan, auf der Flucht und in Deutschland!
Lasst uns bitte nicht wegschauen, lasst uns laut bleiben. Wir dürfen die Menschen nicht alleine lassen.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...