Die Situation von Flüchtenden in Serbien – illegale Abschiebungen und Ausharren bei extremer Kälte

(Über)-Leben an der ungarischen Grenze

Kurz nach dem Jahreswechsel verkündet das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in gewohnter Weise die Ergebnisse seiner Erhebungen zu den weltweiten Flüchtlingszahlen im ersten Halbjahr 2018. Für Deutschland wurde ein Rückgang der gestellten Asylanträge um 20 Prozent verzeichnet, was den deutschen UNHCR- Repräsentant Dominik Bartsch zu der Aussage verleitet, die Flüchtlingskrise fände woanders statt, zum Beispiel in Ländern wie Bangladesch oder Libanon. Ohne die äußerst schwierige Lage in diesen Ländern fernab der EU klein zu reden, gleicht auch die Lage an den südöstlich von Deutschland auf dem Balkan gelegenen EU-Außengrenzen einer humanitären Krise.

Allgemeine Situation in Serbien

Für Serbien zählte das UNHCR in der zweiten Dezemberhälfte 2018 knapp 4500 Flüchtlinge, die gerne in die EU einreisen würden, denen der Zutritt jedoch verwehrt bleibt. Der Großteil von ihnen sitzt in den offiziellen staatlichen Camps ohne jede Perspektive fest, da das wirtschaftlich schwache Serbien ihnen keinen Ausweg bietet. Manche geben in der Verzweiflung auf und geben sich ihrem Schicksal hin, andere versuchen mit aller Kraft den Grenzzaun zu passieren und anschließend nach Westeuropa vorzudringen. Zum Teil berichten die Geflüchteten von Gewalt und Diebstählen in den serbischen Camps. Sie verlassen die offiziellen Unterkünfte und beziehen verlassene Gebäude in Grenznähe, wo sie unter unwürdigen Bedingungen leben müssen.

Knapp 100 Geflüchtete in Subotica und bei Horgoš

Während in den Sommermonaten vergangener Jahre zahlreiche solcher improvisierter und selbstorganisierter Unterkünfte in Nord-Serbien als Ausgangspunkte für die tagtäglichen Auseinandersetzungen mit dem EU-Grenzregime genutzt wurden, sind in Subotica und Umgebung in diesen Wintermonaten nur zwei solcher Orte übrig geblieben. 50 bis 60 Menschen harren derzeit in verfallenen Gebäuden auf dem Bahnhofsgelände der serbischen  Kleinstadt aus und 30 bis 40 weitere Geflüchtete leben in verlassenen Scheunen nahe dem Grenzdorf Horgoš. Die meisten von ihnen sind junge Männer aus Afghanistan und zwischen 15 und 30 Jahre alt. Bei Minusgraden und regelmäßigem Schneefall wärmen sich die Menschen in den Bahnhofsgebäuden am Feuer und klagen über schlaflose Nächte, weil Decken und Schlafsäcke in den zugigen Räumen nicht genügend wärmen. Trinkwasser muss mit Kanistern von einem öffentlichen Brunnen beschafft werden, Anschluss an die Stromversorgung gibt es keine.

Kaum Unterstützungsstrukturen vor Ort vorhanden

Der Mehrheit der Geflüchteten fehlt es an einer passenden Ausstattung für die extremen klimatischen Bedingungen. Sie tragen dünne Pullover und laufen in Badelatschen durch den Schnee. Vom überwiegenden Teil der lokalen Bevölkerung erhalten sie keine Unterstützung. Nur die kleine spanische NGO „Escuela Con Alma“ ist mit ein paar Leuten vor Ort und arbeitet täglich daran, ausreichend Schlafsäcke, Decken, Jacken und winterfeste Schuhe bereitzustellen. Darüber hinaus bringen die Unterstützer*innen mehrmals pro Woche Nahrungsmittel, Trinkwasser und Autobatterien zum Laden der Handys in die abgelegene Unterkunft nahe Horgoš.

Push-Back Erfahrungen bis kurz vor die österreichische Grenze

Während alle auf den nächsten passenden Moment für einen erneuten Aufbruch warten, haben sie die Bilder zu all den gescheiterten Versuchen im Kopf. Die Berichte einiger Geflüchteter zeigen deutlich mit welcher Konsequenz Ungarn seit Monaten die Praxis illegaler Zurückweisungen (sog. „Push-Backs“) verfolgt. Dabei  konzentrieren sich die ungarischen Behörden nicht nur auf das unmittelbare ungarisch-serbische Grenzgebiet. Der 20 jährige Khialay [Name geändert] berichtet, dass er erst 6 Kilometer vor der ungarisch-österreichischen Grenze von der ungarischen Polizei gefasst und trotzdem noch am selben Tag zurück nach Serbien abgeschoben wurde. Andere erzählen von kilometerweiten Fußmärschen ins Landesinnere. Doch auch sie wurden nach der Festnahme umgehend abgeschoben oder zunächst stundenlang auf Polizeistationen ohne Zugang zu Essen, Trinken und Sanitäranlagen festgehalten und dann nach Serbien zurückgewiesen. Manche mussten außerdem noch  ihren Schlafsack an die ungarische Polizei abgeben. Die Frage nach einem Bleiberecht und Asylverfahren wurde dabei stets durch die ungarischen Behörden verneint. Stattdessen berichten Geflüchtete zudem von Gewalt und Drohungen durch die Polizei. Sollten sie drei Mal erwischt werden, werde dies härtere Konsequenzen haben.

Illegale Praxis der ungarischen Polizei von EU geduldet

Erst vor wenigen Wochen wurden geheime Videoaufnahmen illegaler Zurückweisungen durch die kroatische Polizei an der kroatisch-bosnischen Grenze bekannt. 32 solcher Fälle in den Grenzregionen nahe Subotica und Horgoš dokumentieren Veröffentlichungen der Organisation „Border Violence Monitoring“. Berichte vieler Geflüchteter lassen jedoch auf eine große Dunkelziffer schließen, denn eine systematische und organisierte Erfassung der Vorfälle findet nicht statt.
Die regelmäßigen Verstöße gegen die europäische Menschenrechtskonvention und Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention durch die ungarischen Behörden dürften auch in der restlichen EU mittlerweile bekannt sein und dennoch werden sie geduldet. Die Bundesregierung erfreut sich an der sinkenden Anzahl gestellter Asylanträge, obwohl sie diese Entwicklung u.a. illegalen Praktiken durch nationale Polizeieinheiten an den EU- Außengrenzen zu verdanken hat. Die Perspektivlosigkeit der Menschen auf dem Balkan in Gefangenschaft zwischen EU-Grenzregime und unwürdigen Lebensbedingungen wird dabei geradezu gleichgültig in Kauf genommen.

Das lange Warten nimmt kein Ende

Dennoch geben die jungen Geflüchteten in Subotica und Horgoš nicht auf. Sie wollen es weiter versuchen, obwohl sie dies schon seit Monaten oder sogar Jahren tun. In Horgoš verbringen einige bereits ihren zweiten Winter, am Bahnhof in Subotica halten sich mehrere schon einige Monate auf. In Serbien haben sie keine Perspektive, und ihre aktuellen Lebensumstände sind so katastrophal, dass sie den Weg in die EU als einzigen Ausweg sehen. Eine Rückkehr nach Afghanistan können sich die meisten aufgrund von persönlichen Verfolgungsgeschichten oder der allgemeinen Gefahr durch Krieg und Attentate nicht vorstellen.

Quellen

https://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge-deutschland-167.html
https://data2.unhcr.org/en/documents/details/67469

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