Aufruf zur „Kundgebung für eine menschenwürdige Unterbringung“ in Göttingen

Wir dokumentieren hier den Aufruf zu einer Kundgebung von Geflüchteten und Unterstützer:innen am 22. März 2018 vor dem Neuen Rathaus in Göttingen. Der Protest richtet sich gegen die fortwährende Unterbringung von Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften und die von der Stadt geplante Verlegung aus einer Unterkunft, die bald geschlossen werden soll, in eine andere. Nach einem ersten Offenen Brief an alle Göttinger:innen Ende Februar 2018 veröffentlichten die Flüchtlinge und Unterstützer:innen im März einen zweiten Brief, mit dem Sie sich direkt an den Göttinger Oberbürgermeister Köhler wandten. Auch diesen Brief veröffentlichen wir nachstehend.

Aufruf der Bewohner:innen der Unterkunft Nonnenstieg zusammen mit Unterstützer:innen

Kundgebung für eine menschenwürdige Unterbringung!
Dezentrale Wohnungen statt Massenunterkünfte!
Donnerstag, 22. März 2018, 14:30 Uhr, Neues Rathaus, Göttingen

Vor Kurzem haben wir uns mit einem offenen Brief wegen unserer Probleme an den Oberbürgermeister gewandt: Wir wollen ein selbstbestimmtes Leben führen! Aber die Stadt und die zuständige Politik diktieren uns, wie wir als Zufluchtsuchende untergebracht werden. Die Stadt handelt, macht Mietverträge, spricht mit den Flüchtlingsheimbetreibern, mit Wirtschaftsunternehmen, sie sprechen über uns, aber sie sprechen nicht mit uns über unsere Probleme. Permanent suchen sie für uns Stellvertreter. Die ganze Arbeit, Mühe und Bereitschaft der Stadt für unsere Unterbringung hilft uns leider nicht, weil das keine Verbesserung für unser Leben bringt. Die Stadt versucht die Probleme der Unterbringung ohne uns zu lösen – so bleiben immer Massenunterkünfte die Lösung der Stadt.

Wir sagen: Massenunterkünfte sind langfristig nicht tragbar. Massenunterkünfte machen krank, Massenunterkünfte isolieren und ersticken jede Hoffnung auf einen selbstbestimmten Alltag. Unter der ständigen Kontrolle, der Einschüchterung durch Hierarchie, die Politiker:innen einsetzen, soll für uns Geflüchtete gar nicht erst der Eindruck von Alltag und Perspektive entstehen. Nach zwei, drei Jahren Leben in Massenunterkünften will die Stadt uns wieder zwangsweise in eine neue Massenunterkunft verlegen!

Wir sagen: nein, es reicht!

Wir fordern eine sofortige dezentrale Unterbringung und absolute Bewegungsfreiheit für alle Menschen!

Kommt am Donnerstag, den 22.März um 14:30 zum Neuen Rathaus!
Solidarisiert euch mit unseren Forderungen!

Flüchtlinge aus dem Nonnenstieg, AK Asyl Göttingen und IWF-Flüchtlingsinitiative
unterstützt von Refugee Network Göttingen

Offener Brief von Geflüchteten aus der Unterkunft Nonnenstieg an den Göttinger Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!

Wir sind einige Flüchtlinge aus der Göttinger Unterkunft am Nonnenstieg 72. Wir wenden uns heute mit einem konkreten Anliegen an Sie.

Wir sind besorgt über die aktuelle Maßnahme der Stadt Göttingen zur Schließung der Unterkunft im Nonnenstieg. Die Stadt Göttingen hat bereits begonnen, Gruppen von Menschen irgendwo anders unterzubringen.

Diese Art der Verlegung in andere Unterkünfte entspricht nicht unserem Wunsch. Viele von uns kennen seit 2 oder 3 Jahren Aufenthalt in Deutschland nur das Leben in Unterkünften. Die Hoffnung, nach der beschwerlichen Flucht endlich in einem ruhigen Leben anzukommen, wird durch die permanente Unterbringung in Massenunterkünften fast vollends zunichte gemacht. Massenunterkünfte machen das Leben in vielen Bereichen unerträglich und verletzen die Würde des Menschen.

Heute sagen wir: es reicht uns. Wir haben uns hier im Nonnenstieg ein kleines Leben aufgebaut, Kontakte geknüpft und einige Initiativen und Menschen kennengelernt. Wir wollen nicht schon wieder umverteilt und in eine andere Gemeinschaftsunterkunft verlegt werden. Wir sagen, das Leben in Unterkünften sollte eigentlich nach einer gewissen Zeit aufhören, denn es macht krank.

Am liebsten möchten wir deshalb hier bleiben, bis wir eine Wohnung gefunden haben. Eine bessere Unterstützung seitens der Stadt bei der Wohnungssuche wäre also die bessere Lösung als die erneute Zuteilung in eine weitere unbefriedigenden Unterbringung.

Auch wenn die uns angebotene Unterkunft in der Hannah-Vogt-Straße modern erscheint, so müssen sich doch wieder sechs Personen drei Zimmer teilen. Wenn wir diese Unterkunft überhaupt in Betracht ziehen sollen, dann nur, wenn jede und jeder von uns ein Zimmer für sich bekommt.

Und auch wenn die geplante Umzugsaktion am vergangenen 05.März kurzfristig wegen eines Tuberkulose-Falls nicht durchgeführt werden konnte, so halten Sie doch an einer Verlegung gegen unseren Willen fest.

Wir aber haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben ohne Massenunterkunft, egal, ob unser Asylantrag positiv oder negativ beschieden wird. Nach dieser langen Zeit in der Gemeinschaftsunterkunft wollen wir – solange wir in Deutschland sind – eine eigene Wohnung haben.

Wir bitten um Ihre Rückmeldung und Antwort auf unsere Probleme.

Mit freundlichen Grüßen
Flüchtlinge aus dem Nonnenstieg, Göttingen
im März 2018

Presseberichte

Flüchtlinge gegen Unterbringung in Massenunterkünften, in: Göttinger Tageblatt online vom 22.03.2018

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