Zum Newroz – Flüchtlingsdeal der EU ignoriert Menschenrechtslage in der Türkei

Zum Kurdischen Newroz 2016:

Flüchtlingsrat: Flüchtlingsdeal der EU ignoriert Menschenrechtslage in der Türkei

Guten Anlass zum Feiern bietet das traditionell am 21. März begangene kurdische Neujahrsfest – Newroz – in diesem Jahr nicht. Die Lage der kurdischen Bevölkerung in der Türkei ist so schlecht wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. Seit Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach den türkischen Parlamentswahlen im Sommer 2015 den Friedensprozess mit der kurdischen PKK aufgekündigt hat, mehren sich die militärischen Angriffe auf Stellungen der PKK.

Besonders aber nimmt die Armee im Zuge ihrer „Aufstandsbekämpfung“ die mehrheitlich kurdische Zivilbevölkerung in den Städten Diyarbakir, Cizre, Silvan, Idil und ganz aktuell Yüksekova unter Feuer. Dort herrscht seit Monaten Belagerungszustand. Hunderte Menschen und ganze Stadtgebiete fielen und fallen weiterhin den Auseinandersetzungen von türkischem Militär und PKK zum Opfer.

Laut EU-Berichterstatterin Kati Piri sind mittlerweile ca. 400.000 Menschen aus ihren Häusern, Dörfern und Städten geflohen. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die gegen diese Politik ihre Stimme öffentlich erhoben, wurden verhaftet und mit Entlassung und Berufsverbot bedroht. Darüber hinaus herrscht in der Türkei seit Monaten offene Unterdrückung türkischer Oppositioneller, kritischer Presse, Bürgerinitiativen oder einfach nur empörter Menschen. Auch die Situation der irakischen, syrischen und anderen Flüchtlinge im Land ist höchst prekär.

Dies alles hält die Bundesregierung und die EU nicht davon ab, die Türkei als probaten Partner im Umgang mit der Flüchtlingszuwanderung zu betrachten. Die Menschenrechtslage wird augenscheinlich bewusst ignoriert. Der aktuell von der EU mit besonderer Unterstützung der Bundesregierung beschlossene Deal sieht vor, dass Flüchtlinge, die sich der Überlebensnot in der Türkei unter Lebensgefahr nach Europa entzogen haben, ohne seriöse Prüfung ihrer Fluchtgründe zurückgeschickt werden können.

Ein Schlag ins Gesicht sämtlicher Opfer türkischen Regierungshandelns ist die Überlegung, die Türkei als sicheren Drittstaat oder gar als sicheres Herkunftsland einzustufen. Das im Auftrag der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisation PRO ASYL erstellte Rechtsgutachten vom 4.3.2016 weist darauf hin, dass die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit geografischem Vorbehalt unterzeichnet hat. Dadurch haben außereuropäische Flüchtlinge, z.B. aus Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Eritrea etc. in der Türkei keine Aussicht auf eine Flüchtlingsanerkennung.

„Schon mit dem Nachdenken darüber, die Türkei als sicheren Drittstaat einzustufen, leistet die Politik einen Offenbarungseid über die so gern beschworenen europäischen Werte“, mahnt Dr. Gisela Penteker vom Vorstand des Flüchtlingsrat Niedersachsen, die sich gegenwärtig in der Türkei aufhält. „Dass systematisch über die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei hinweggesehen wird, nur um Männern, Frauen und Kindern, die dem Krieg und anderen Überlebensnöten zu entfliehen suchen, den Zugang nach Europa zu versperren, ist eine weitere Ertappe im europäischen Wettlauf flüchtlingspolitischer Schäbigkeiten“, klagt Penteker.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen schließt sich daher dem Aufruf verschiedener Menschenrechtsorganisationen „Stoppt den Kreislauf der Gewalt in der Türkei!“ an die Regierungen der EU-Staaten an, Menschenrechtsverletzungen in der Türkei anzuprangern und sich für die Wiederaufnahme des türkisch-kurdischen Friedensprozesses einzusetzen. Das Newroz-Fest am 21. März ist ein geeigneter Anlass, damit zu beginnen.

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