Flüchtlingsrat fordert sofortiges Ende der Kampagne gegen Balkan-Flüchtlinge

  Ganz undiplomatisch und mit skandalöser Wortwahl unterfüttert die deutsche Botschaft in Pristina in einem Schreiben vom 3. Februar eine Kampagne der CSU gegen Flüchtlinge vom Balkan. Unter der Über­schrift „Kön­nen wir die La­wi­ne auf­hal­ten?“ schreiben die Diplomaten: „Erst wenn eine grö­ße­re An­zahl von Ko­so­va­ren me­di­en­wirk­sam per Sam­mel-Char­ter­flie­ger zu­rück­kehrt, deren Ver­fah­ren in­ner­halb we­ni­ger Wo­chen in Deutsch­land ab­ge­schlos­sen wur­den, spricht sich herum, dass sich il­le­ga­le Ein­wan­de­rung nach Deutsch­land nicht rech­net.“

Eine Lawine ist gemeinhin eine Naturkatastrophe, eine tödliche Gefahr, die über Menschen hereinbricht. Die Metaphorik erzeugt Angst und versetzt die Menschen in Panik. Je dramatischer das gewählte Bild, so offenbar das Kalkül, desto größer die Bereitschaft, mit Flüchtlingen „kurzen Prozess“ zu machen. Dass ein Botschaftsvertreter sich auf solche Weise in die Innenpolitik einmischt und das politische Klima in Deutschland vergiftet, ist ungeheuerlich – und widerspricht den Fakten: 3.630 Flüchtlinge aus dem Kosovo haben im Januar 2015 einen Asylantrag gestellt – das waren 15% aller Asylanträge, rund 3% aller Zugewanderten. Eine „Lawine“?

Nur 1,1% aller Flüchtlinge aus dem Kosovo wurde im Januar 2015 in Deutschland Schutz gewährt. Angesichts der Tatsache, dass die Schutzquote für diese Flüchtlinge in anderen europäischen Staaten um ein Vielfaches höher liegt (siehe hier), liegt die Frage nahe, ob es in Deutschland im Umgang mit den Balkan-Flüchtlingen eine besonders restriktive Praxis gibt. Aber selbst bei einer Anerkennungsquote von 1,1% heißt das, dass 40 Flüchtlinge aus dem Kosovo im Januar in individuellen Verfahren ein Schutzanspruch zugebilligt wurde. Schon aus diesem Grund verbietet sich ein „kurzer Prozess“. Der Kosovo ist kein „sicheres Herkunftsland“!

In ihren Reisebericht „ABGESCHOBENE ROMA im Kosovo. Journalistische, juristische und medizinische Recherchen“ berichten Menschenrechtler:innen 2014 über unerträgliche Lebensbedingungen der Menschen. Im Vorwort der bemerkenswerten Dokumentation heißt es: „Im Kosovo treffen wir Menschen, die überhaupt nichts haben. Die hungern und nur zögernd davon erzählen, weil sie sich dafür schämen oder es für selbstverständlich halten. Deren Leben hier zu Ende gegangen zu sein scheint, deren Pläne und Träume jäh zerschlagen wur­den – weil sie aus Deutschland abgeschoben worden sind. Viele können an nichts mehr anknüpfen, weil der Krieg 1998/1999 sie nicht nur vertrieben, sondern vieles zerstört und alles verändert hat. Von den Milliarden, die nach dem Krieg in dieses winzige Stück Staat geflossen sind, haben die Menschen, auf die wir treffen, nicht profitiert. Die Zuordnung zu einer Gruppe oder Minderheit trennt bis heute. In der geteilten Stadt Mitrovica kommt eszwischen SerbInnen und AlbanerInnen immer wieder zu Auseinandersetzungen. Roma sind im ganzen Land Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt.“

Die Zahl der Flüchtlinge aus dem Kosovo und anderen Balkan-Staaten steigt, weil das Land verarmt und die Konflikte zunehmen. Erst jüngst ist es in Pristina wieder zu neuen schweren Konflikten zwischen Albanern und Serben gekommen. Auf der Strecke bleiben vor allem An­ge­hö­ri­ge der Roma, Ash­ka­li und Ko­so­vo-Ägyp­ter. Die ehemalige serbische Provinz Kosovo gehört mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Ländern Europas. Ein Drittel der Erwerbsfähigen ist arbeitslos, Korruption allgegenwärtig. Menschenrechtsorganisationen sind sich in der Einschätzung einig, dass die extreme Ausgrenzung, gepaart mit gesellschaftlicher Ächtung und Diskriminierung, durchaus den Charakter einer (kumulativen) politischen Verfolgung annehmen kann. Die europäische Politik ist gefordert, für die Menschen im Kosovo und den anderen Balkanstaaten endlich menschenwürdige Lebensperspektiven zu schaffen, statt diejenigen als „Wirtschaftflüchtlinge“ zu verunglimpfen, die vor Armut, Hunger und Diskriminierung nach Mitteleuropa fliehen.

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3 Gedanken zu „Flüchtlingsrat fordert sofortiges Ende der Kampagne gegen Balkan-Flüchtlinge“

  1. Eine Kampange gegen Balkan-Flüchtlinge mit den genannten Slogans ist genauso dumm, wie eine Kampange für Balkan-Flüchtlinge. Die Ansicht, dass es mit der Vielzahl von Asylanträgen aus dem Balkan nicht mehr so weiter geht, teilt auch unser Innenminister.

    „Mit dieser Forderung steht Landsberg nicht alleine da: Bayern hat bereits eine entsprechende Bundesratsinitiative angekündigt. Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) fordert ein stärkeres Vorgehen gegen die Einreise von Menschen, die keinerlei Chance auf Asyl hätten.“

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kosovo-kommunen-fordern-hilfe-beim-umgang-mit-asylbewerbern-a-1017814.html

    Ich habe Zweifel an den oben genannten Zahlen. Woher wisst ihr über die aktuelle BAMF Statistik vom laufenden Monat Bescheid – Quellennachweis ? Neben Kosovo kamen 2014 ja auch aus Albanien, Serbien, Montenegro und Mazedonien übermäßig viele Asylantragsteller, deutlich mehr als aus Syrien, Irak und Afghanistan zusammen. Das scheint sich zu intensivieren – auch wegen Kampangen von Lobbygruppen für Balkan Flüchtlinge. Ich fürchte, dass die Aktzeptanz in der Bevölkerung für Flüchtlinge insgesamt dadurch schaden nehmen könnte.

    Antworten
    • Danke für den Link.
      Man sieht, dass Statistiken je nach Art der Präsentation wirken.

      Die 10 hauptsächlichen Herkunftsländer offenbaren eines: Es kommen mehr Asylantragsteller aus den Balkanländern, als aus den Ländern in denen tatsächlich Krieg / Bürgerkrieg herrscht.

      Und das merken aktuell viele, die sich haupt- oder ehrenamtlich um Flüchtlinge in den Städten und Gemeinden kümmern. Das ist oft frustrierend für die Helfer, denn wenn nur im einstelligen Prozentbereich Menschen vom Balkan anerkannt werden und manche Folgeantragsteller vom Balkan sehr bewusst eine Mitnahmementalität leben, dann wird das gute Engagement schwinden.

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