UNHCR-Gutachten kritisiert deutsche Widerrufspraxis

Berlin – Die Asyl-Widerrufspraxis in Deutschland steht nicht im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Europarecht.

Tausende von Flüchtlingen haben deshalb in den letzten Jahren ihren Status zu Unrecht verloren. Zu diesem Ergebnis kommt ein neues Rechtsgutachten des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) für den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.

Hintergrund: Aufgrund der derzeit vorherrschenden Auslegung in Deutschland widerrufen die Behörden ihre Entscheidung über die Anerkennung eines Flüchtlings, wenn sich die Umstände in dem Heimatland der Betroffenen so geändert haben, dass keine Verfolgung droht. Auf Grundlage dieser Kriterien wurde z.B. seit der militärischen Invasion multinationaler Truppen im Irak im Jahre 2003 bis Ende 2007 systematisch der Flüchtlingsstatus von über 17.000 Irakern in Deutschland widerrufen. Die durch tägliche Anschläge geprägte allgemeine Sicherheitslage, die prekären Lebensbedingungen und die faktisch fehlende staatliche Autorität in einigen Teilen des Landes wurden dabei als nicht relevant für den Widerruf eingestuft. Als ausschlagebend galt allein die durch den Sturz des Saddam-Regimes erfolgte Veränderung im Irak.

Aus UNHCR-Sicht ist ein solcher gewaltsamer Umsturz für sich genommen nicht ausreichend für die Beendingung des Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese setzt neben einer umfassenden Prüfung des grundlegenden und dauerhaften Charakters der Veränderungen im Herkunftsland auch vor allem voraus, dass die Betroffenen effektiven und wirksamen Schutz durch die Behörden ihres Herkunftslandes erlangen und in Sicherheit und Würde in ihren Herkunftsstaat zurückkehren können. Dies erfordert zumindest, dass die grundlegendsten Menschenrechte geschützt sind und das Existenminimum erlangt werden kann.

Diese Bedingungen sind jedoch im Irak bis heute nicht erfüllt.
Daher hatte UNHCR die deutsche Widerrufspraxis bisher stets als verfrüht kritisiert. Dass der Umsturz des Regimes noch nicht zu einer dauerhaften Stabilität und Sicherheit vor Verfolgung geführt hat, wird indirekt nun auch in der deutschen Praxis mit Blick auf nichtmuslimische Minderheiten aus dem Irak anerkannt. Sie gelten mittlerweile als aus religiösen Gründen verfolgt und nicht lediglich als „allgemeinen Gefahren“ in ihrem Heimatland ausgesetzt. Dies führte u.a. dazu, dass eine erhebliche Zahl von Irakern, deren Flüchtlingsstatus zuerst widerrufen worden war, im Zuge eines Asylfolgeverfahrens erneut als Flüchtlinge anerkannt wurde.

UNHCR hat diese Korrektur begrüßt, weist allerdings auch darauf hin: Eine ßberprüfung anhand völkerrechtskonformer Kriterien hätte den Betroffenen das Wechselbad von Ab- und Anerkennung und die damit verbundenen existenziellen Sorgen erspart.

Um die weiterhin umstrittenen grundsätzlichen Auslegungsfragen zu klären, hat das Bundesverwaltungsgericht dem Europäischen Gerichtshof einen detaillierten Fragenkatalog vorgelegt. Erwartet wird eine verbindliche Auslegung, welche Kriterien bei der Beendigung des Flüchtlingsstatus anzuwenden sind. Die Luxemburger Richter müssen nun entscheiden, ob die deutsche Praxis mit EU-Recht vereinbar ist.
Maßgabe ist dabei die Vorschrift zur Beendigung des Flüchtlingsstatus in der sogenannten EU-Qualifikationsrichtlinie, die im Wortlaut der entsprechenden Regelung in der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht.

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