Bündnispapier „Verantwortung übernehmen! Ein Sicherer Hafen für Alle“

[14. Juni 2021]

Bündnispapier „Verantwortung übernehmen! Ein Sicherer Hafen für Alle“

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Politisches Handeln hat die Aufgabe, das gute Zusammenleben aller Menschen zu organisieren. Gerade die Kommunen sind die Orte, die Zugänge etwa zu Bildung und Gesundheit herstellen sowie die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Das ist vielerorts schon längst gelebte Praxis in Niedersachsen.

Immer mehr Kommunen in Niedersachsen erklären sich zu Sicheren Häfen. Das sind wichtige Schritte! Denn ein Sicherer Hafen ist ein Ort der Aufnahme und des Ankommens für Schutzsuchende, insbesondere für jene, die unter katastrophalen Bedingungen an Europas Grenzen festsitzen. Zum anderen sollte ein Sicherer Hafen Sicherheit für alle Menschen schaffen, die vor Ort leben.

Doch noch immer ist vielen Menschen die gesellschaftliche wie politische Teilhabe verwehrt – selbst wenn sie hier geboren sind oder seit Jahren hier leben und längst Teil der Gesellschaft sind. Dabei funktioniert und gedeiht jede Gesellschaft – in einem kleinen Dorf wie in einer Großstadt – besser, wenn alle Menschen vor Ort dieselben Rechte haben.

Als breites Bündnis fordern wir von Land, Kommunen und Zivilgesellschaft in Niedersachsen ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, um menschenrechtsorientierte, schützende und fördernde Lebensbedingungen und ein gleichberechtigtes Zusammenleben für alle Menschen zu schaffen – und zwar unabhängig von Pass und Aufenthaltstitel.

A. Antirassismus

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“. So beginnt die 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Doch auch über 70 Jahre nach Verabschiedung der UN-Menschenrechtserklärung und unseres Grundgesetzes sind wir noch weit entfernt von einer Welt, in der alle Menschen frei von Gewalt, in voller Würde und Selbstbestimmung leben können. Weltweit sind Kräfte im Aufwind, die die Menschlichkeit angreifen, die Hass und Hetze gezielt gegen bestimmte Gruppen schüren.

  • Rassismus ist ein strukturelles gesellschaftliches Problem und kein Phänomen einzelner Rassist*innen.
  • Rassismus dient dazu gesellschaftliche Hierarchien und Privilegien zu legitimieren.
  • Institutionelle und strukturelle Ausschlussmechanismen sind wirkmächtig und haben dramatische Folgen für Menschen anderer Herkunftsländer, Sprachen, Hautfarben, Nationalitäten, Religionen, Einwanderungsgeschichten, Lebensbedingungen oder mit eingeschränkten Aufenthaltstiteln.

Wir sehen hier eine gesamtdeutsche politische Verantwortung gegenüber den Menschen und ihren Nachkommen, die marginalisiert, verletzt und/oder getötet worden sind aufgrund der historischen Verbrechen während der Kolonialisierung und des Nationalsozialismus. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, können auch Kommunen und die Menschen in Niedersachsen einen Beitrag leisten und sich positionieren.

Wir fordern daher unter anderem:

  • Eine konsequente politische Positionierung und entschlossenes Vorgehen gegen     alle Formen von Rassismus.
  • Den konsequenten Abbau von institutionellem Rassismus.
  • Die Abschaffung von diskriminierenden Gesetzen im Asylverfahren.
  • Antirassismusbeauftragte in allen Kommunen, mehrheitlich besetzt von Expert*innen of Color.
  • Politische Konsequenzen bei rassistischen Anschlägen.

B. Verantwortung für die Einhaltung der Grundrechte

Das, was an Europas Grenzen passiert, geht uns alle an. In einem immer stärker zusammenwachsenden, nach innen grenzenlosen Europa können wir nicht ignorieren, wenn Menschen auf der Flucht nach Europa ertrinken, in Lagern unter katastrophalen Umständen festgehalten werden oder ihre Rechte an den Grenzen verletzt werden.

In einem solidarischen Europa überlassen wir die Aufnahme von Geflüchteten nicht den Staaten an den EU-Außengrenzen. Vielmehr sollten auch Kommunen und Zivilgesellschaft in Niedersachsen Verantwortung übernehmen und eine humane, solidarische Politik mitgestalten.

  • Viele niedersächsische Kommunen haben es bereits vorgemacht: Sie erklären sich zu Sicheren Häfen und treten für eine solidarische Asyl- und Migrationspolitik ein. Weitere Städte, Landkreise und Gemeinden sollen schnell folgen und gemeinsam die Stimme erheben für die Rechte von Menschen auf der Flucht.
  • Hunderte Kommunen in Deutschland und Europa haben sich mit Menschen auf der Flucht solidarisiert. Die niedersächsischen Kommunen müssen sich an den entstehenden Netzwerken solidarischer, aufnahmebereite Kommunen beteiligen und sich gegenüber Land, Bund und EU nachdrücklich für die Einhaltung der Grundrechte und eine kommunale Aufnahme von Schutzsuchenden einsetzen.

C. Bleiberecht statt Abschiebungen

Bisher leben hunderttausende Menschen in steter Angst vor einer Abschiebung. Auch in Niedersachsen bekommen tausende Menschen nur eine sogenannte Duldung – selbst wenn sie seit Jahrzehnten hier leben oder hier geboren wurden.

Wir wollen, dass alle Menschen, die Teil der Gesellschaft sind und hier leben wollen, hier bleiben können. Auch wenn für viele Fragen das Aufenthaltsrecht auf Bundesebene geändert werden muss, können Niedersachsens Kommunen schon jetzt rechtliche Spielräume nutzen, um für Menschen ein Bleiberecht zu schaffen  und ihnen Sicherheit zu bieten.

  • Die Kommunen sollten eine konsequent wohlwollende Grundhaltung gegenüber Menschen mit unsicherem Aufenthalt einnehmen und ihr Ermessen stets so auslegen, um auch bei der derzeitigen Gesetzeslage möglichst  für alle Menschen ein Bleiberecht zu schaffen.

D. Wohnen statt Unterbringung

Die eigene Wohnung ist ein sicherer Ort, an dem Menschen selbstbestimmt leben und zur Ruhe kommen können. Dieses selbstbestimmte Leben in der eigenen Wohnung ist zugleich eine wichtige Grundlage, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Die niedersächsischen Kommunen können schon jetzt dafür sorgen, dass alle Menschen frei und selbstbestimmt leben können.

  • In vielen Kommunen gibt es längst keine kommunalen Unterkünfte für Geflüchtete mehr. Dort, wo sie noch bestehen, müssen sie so schnell wie möglich geschlossen und erleichterter Zugang zu eigenem Wohnraum geschaffen werden.
  • Solange Unterkünfte existieren, müssen die Kommunen hohe Standards der Unterbringung und Unterstützung der Menschen festlegen. Die Umsetzung dieser Standards muss fortwährend kontrolliert werden.
  • Die Kommunen müssen die Rechte und Bedarfe besonders schutzbedürftiger Menschen berücksichtigen. Hierzu gehören Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, körperlich oder psychisch erkrankte Personen sowie Überlebende von Folter, Gewalt oder Menschenhandel. Darüber hinaus müssen Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität verhindert werden.
  • Die Kommunen müssen unabhängige und niedrigschwellige Beschwerdestellen schaffen, sodass insbesondere die in Unterkünften lebenden Menschen auf Missstände und Fehlentwicklungen hinweisen können.

E. Grundrecht auf Gesundheit

Gesundheit ist ein Grundrecht. Gerade in Zeiten einer gravierenden Pandemie wird deutlich, dass die Gesundheit aller Menschen gleichermaßen wichtig ist. Noch aber haben nicht alle Menschen, die in Niedersachsen leben, einen uneingeschränkten Zugang zur medizinischen Versorgung.

  • Die Kommunen in Niedersachsen müssen sicherstellen, dass Menschen unabhängig ihres Aufenthaltsstatus jederzeit und angstfrei Zugang zu medizinischer Versorgung haben, zum Beispiel durch eine Krankenversicherungskarte für Alle und einen anonymen Krankenschein für Menschen ohne Papiere.
  • Die Kommunen müssen einen barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleisten. Dazu gehört die Bereitstellung mehrsprachiger Informationen, die Finanzierung von Sprachmittlung bei Ärzt*innenbesuchen sowie deren Organisation (etwa durch den Aufbau von Gemeindedolmetschdiensten).
  • Die Einschränkung der Gesundheitsleistungen durch das Asylbewerberleistungsgesetz und das damit verbundene aufwändige Antragsverfahren sollen abgeschafft werden. Bis dahin können Handlungsspielräume innerhalb des Asylbewerberleistungsgesetz ausgeschöpft werden.
  • Bei der Unterbringung von Geflüchteten und bei der Verteilung auf die Kommunen müssen gesundheitliche Belange wie zum Beispiel die Behandlungsmöglichkeiten vor Ort berücksichtigt werden. Eine psychologische/psychosoziale Beratung und Behandlung muss gewährleistet sein.

Bündnispartner:innen

Afrikanischer Dachverband Norddeutschland e. V. (ADV-Nord)

AIDS-Hilfe Oldenburg e.V.

Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) der Georg-August-Universität Göttingen

Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen – amfn e.V.

Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg e.V.

AWO Niedersachsen Landesarbeitsgemeinschaft

Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. (BumF)

Bündnis für solidarische Intervention Oldenburg

Caritasverband für die Diözese Hildesheim e.V.

CONQUER BABEL e.V.

Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK) Landesverband Niedersachsen-Bremen

Deutscher Gewerkschaftsbund Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt (DGB-NSB-SAN)

Exil – Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge e.V.

Fachschaft Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen, Universität Osnabrück

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.

Fridays For Future Niedersachsen

Friedensbüro Hannover e.V.

IBIS – Interkulturelle Arbeitsstelle e.V., Oldenburg

Initiative für internationalen Kulturaustausch e.V.

Interventionistische Linke Hannover

JANUN Hannover e.V.

kargah e.V. – Verein für Interkulturelle Kommunikation, Migrations- und Flüchtlingsarbeit

Kreisdiakonat Ev.-luth. Kirchenkreis Oldenburg-Stadt

Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser Niedersachsen

Landesjugendring Niedersachsen e.V.

Landesverband der Êziden in Niedersachsen 

Landesverband der Jüdischen Gemeinde von Niedersachsen

Mädchenhaus Oldenburg e.V.

Martin-Luther-Kirche Oldenburg

Medinetz Hannover e.V.

MigrantInnenSelbstOrganisationen-Netzwerk (MiSO) Hannover e.V.

Niedersächsischer Integrationsrat (NIR)

Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen (NTFN) e.V.

No Lager Osnabrück

NO Olgida

Ökumenisches Zentrum Oldenburg e.V. (ÖZO)

Oldenburger Rechtshilfe

Paritätischer Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V.

Refugium Flüchtlingshilfe Braunschweig

Roma Center e.V.

Seebrücke Niedersachsen

So.Wi.WIR (Wildeshausen)

Students at Work | Campus Office der Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften

Students for Future Oldenburg

theater wrede +

Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte Hannover e.V.

Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e.V. (VEN)

Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen e.V. (VNB)

Stand: 12. Juli 2021

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Weitere Organisationen, Initiativen und Vereine, die sich am Bündnis beteiligen wollen und das Bündnispapier mittragen, melden sich bitte bei niedersachsen@seebruecke.org.

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