Tötung von Lamin Touray durch die Polizei: Flüchtlingsrat kritisiert Einstellung der Ermittlungen

Am 30. März 2024 wurde der 46-jährige Geflüchtete, Lamin Touray, aus Gambia in Nienburg von Polizist:innen getötet. Die Beamt:innen gaben mindestens acht Schüsse auf Lamin ab. Laut Obduktionsbericht waren zwei dieser Schüsse – einer in die Leber und einer ins Herz – ursächlich für den Tod Lamins. Die Staatsanwalschaft Verden hat nun die Ermittlungen gegen die 14 am Einsatz beteiligten Beamt:innen eingestellt: Die drei Beamt:innen, die die Schüsse abgegeben haben, hätten „die Schusswaffen als letztes Mittel eingesetzt“, um „eine gegenwärtige Lebensgefahr“ abzuwenden und somit in Notwehr gehandelt.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamt:innen einzustellen und fordert eine lückenlose gerichtliche Aufklärung  der Umstände, die zu Lamins Tod führten.

Eine gerichtliche Aufklärung der Todesumstände ist aus Sicht der Organisation insbesondere auch aufgrund des Näheverhältnisses der Staatsanwaltschaft Verden zur Polizei Nienburg und des damit verbundenen Interessenkonflikts geboten: Da Nienburg im Amtsbezirk der Staatsanwaltschaft Verden liegt, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Polizist:innen, auf deren Vertrauen und Zuarbeit sie täglich zwingend angewiesen ist.

Aufgrund der Tatsache, dass einer der am Einsatz beteiligten Diensthundeführer auf Social Media extrem rechte Inhalte verbreitet hat sowie des Fakts, dass Polizistin:innen sich aufgrund rassistischer Vorurteile gegenüber bestimmten Personengruppen laut neuester Studien „grundsätzlich machtbetont verhalten„, lässt sich auch der Verdacht, dass rassistische oder rechtsextreme Einstellungen das Verhalten der Polizist:innen und den Verlauf des Geschehens beeinflusst haben könnten, nicht pauschal von der Hand weisen. Auch dieser Umstand unterstreicht, dass die Todesumstände Lamins nicht innerhalb des Polizei- und Justizapparats abgehandelt werden dürfen, sondern zwingend einer unabhängigen gerichtlichen Untersuchung bedürfen. Der Flüchtlingsrat betont, dass es ihm nicht um eine Vorverurteilung der beteiligten Polizist:innen, sondern um eine umfassende und lückenlose Aufklärung der Umstände geht, die zu den tödlichen acht Schüssen auf Touray geführt haben.

Hinzu kommt, dass aus Sicht des Flüchtlingsrats aufgeklärt werden muss, inwiefern die von der Staatsanwaltschaft (behauptete) „gegenwärtige Lebensgefahr“ für am Einsatz beteiligten Polizist:innen durch die Eskalation des Einsatzes – Hinzuziehung von insgesamt 14 Beamt:innen, Einsatz von Pfefferspray sowie eines Polizeihundes – selbst verursacht wurde bzw. durch deeskalierenden Maßnahmen – wie bspw. vorübergehender Rückzug, Hinzuziehung von psychologischem Fachpersonal – hätte vermieden werden können.

Aufgeklärt werden muss auch, weshalb die Polizei den Anruf der Freundin Lamins „polizeilich als Bedrohungssituation mit Messer klassifiziert“ hat, obwohl die Freundin bis heute beteuert, zu keinem Zeitpunkt von Lamin bedroht worden zu sein.

Immer wieder werden Menschen, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation bei Polizeieinsätzen getötet, besonders betroffen sind dabei People of Coulor. Der tödliche Polizeieinsatz in Nienburg gegen Lamin Touray macht deutlich, dass das polizeiliche Vorgehen in derartigen Situationen einer grundsätzlicher Revision unterzogen wird. Polizeibeamt:innen müssen in solchen Einsätzen deeskalierend wirken und dafür auch entsprechend geschult werden. Wenn man auf die tödlichen Polizeieinsätze in Niedersachsen blickt, hat es den Anschein, dass überhaupt keine Konsequenzen aus solch tragisch verlaufenen Vorfällen gezogen werden.

Mindestens fünf Menschen mit Fluchtgeschichte starben allein in den vergangenen vier Jahren in Niedersachsen im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen: Aman Alizada im August 2019 im Landkreis Stade, Mamadou Alpha Diallo im Juni 2020 im Landkreis Emsland, Qosay K. im März 2021 in Delmenhorst und Kamal I. im Oktober 2021 im Landkreis Stade. Am Neujahrestag 2023 starb ein Schwarzer im Polizeigewahrsam in Braunschweig. Am 30. März 2024 wurde Lamin Touray von der Polizei erschossen.

Kontakt:

Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 98 24 60 38
moy@nds-fluerat.org; nds@nds-fluerat.org

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