Heft 132: Beratung von Flüchtlingen im Dublin-Verfahren

Dieser Reader ist für alle Beratungsstellen ein Muss, die mit Dublin II – Verfahren zu tun haben.

Die komplizierten Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen für die Frage, welcher Dublin II – Vertragsstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, stellt Beratungsstellen vor hohe Anforderungen. Auch die betroffenen Flüchtlinge verstehen das Verfahren oft nicht und hoffen, einer Überstellung entgehen zu können, wenn sie nur ihren Reiseweg nicht angeben und sich still verhalten. Der Nachweis des Reisewegs erfolgt dann z.B. über Fingerabdrücke, die auf dem Fluchtweg in einem Dublin II – Vertragsstaat abgenommen wurden mit der Folge, dass die Überstellung ohne eine
Prüfung rechtlicher Hindernisse oder humanitärer Gründe erfolgt.

Wir begreifen es daher als eine zentrale Aufgabe unserer über den Europäischen Flüchtlingsfonds geförderten Projektarbeit zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge, dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge bereits vor und während der Erstaufnahme begleitet und beraten und die Überstellungs-Entscheidungen nach der Dublin II – Verordnung besser kontrolliert werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erschwert eine solche Kontrolle durch eine fragwürdige Praxis der Geheimhaltung – die Überstellungs-Entscheidung erfolgt ohne jede Information an die Betroffenen. Auch die jahrelang vom BAMF praktizierte Aushändigung der Überstellungsentscheidung unmittelbar vor dem Vollzug der Abschiebung und unter Umgehung der Rechtsvertretung ist rechtsstaatlich höchst bedenklich: Damit wird die Rechtswegegarantie des Grundgesetzes faktisch außer Kraft gesetzt – ein Sachverhalt, den das niedersächsische Oberverwaltungsgericht bereits am 6. Januar 2010 gegeißelt hat (- Az. 11 ME 588/09 -), ohne dass das BAMF diese Praxis deshalb grundsätzlich aufgegeben hätte.

Um so wichtiger ist es, dass wir für die notwendige Transparenz der Verwaltungspraxis sorgen und dem Bundesamt auf die Finger schauen. Offenkundig bestehen vor allem bei einer Flucht über Griechenland gute Chancen, eine Abschiebung dorthin juristisch zu verhindern. Auf die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darf man gespannt sein. Doch nicht nur bei den Griechenland-Fällen besteht Aussicht auf Erfolg: Es gibt zahlreiche weitere Fallkonstellationen und Herkunftsländer, bei denen rechtliche Schritte erfolgreich sein können.

Freilich sind solche Verfahren oft aufwendig, teuer und mit vielen Strapazen und Wartezeiten für die Betroffenen verbunden. Nicht immer muss eine Rückkehr in den zuständigen Dublin II – Vertragsstaat sich für die Betroffenen als Nachteil erweisen. Jenseits einer politischen Kritik der Dublin II-Verordnung kann ein verantwortlicher Umgang mit den hier anstehenden Fragen auch bedeuten, den Betroffenen zu einer schnellstmöglichen Rückkehr in den zuständigen Staat zu raten (wobei eine eigenständige Rückkehr der Betroffenen verfahrensrechtlich gar nicht vorgesehen ist und in der Praxis oft Schwierigkeiten aufweist). In jedem Fall sollte die Zusammenarbeit mit Flüchtlingsberatungsstellen in den Dublin II – Vertragsstaaten gesucht werden. Eine Liste mit kompetenten Organisationen in den Dublin II – Vertragsstaaten findet sich hier.

[Heft 132 als pdf]

Für den Flüchtlingsrat Niedersachsen
Kai Weber

Für den Flüchtlingsrat Hessen
Timmo Scherenberg

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