Neue OZ online - 24.09.2009, 13:33 Uhr drucken | Fenster schließen Diesen Artikel finden Sie unter: http://www.neue-oz.de/information/noz_print/lt/23511551.html Ressort / Ausgabe: Lingener Tagespost Veröffentlicht am: 18.09.2009 -------------------------------------------------------- Von Thomas Pertz Lingen. In dem großen Mietshaus am Langschmidtsweg in Lingen wohnen Agim und Nevrije Bejta ganz links im Erdgeschoss. Die Lage der Wohnung wirkt wie eine Parallele zur gegenwärtigen Situation der beiden Flüchtlinge aus dem Kosovo, die zur Bevölkerungsminderheit der Roma gehören. Seit 22 Jahren lebt das Ehepaar in Lingen und muss nun vor dem Hintergrund des Rückübernahmeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Kosovo die Abschiebung in die „Heimat“ fürchten. Eine „Heimat“, die es dort für die Roma längst nicht mehr gibt. Nach der Ablehnung ihres Asylantrages in Deutschland waren viele Flüchtlinge aus dem Kosovo wie Agim und Nevrije Bejta in all' den Jahren hier nur „geduldet“. Damit ist kein Aufenthaltsrecht verbunden, sondern lediglich die Aussetzung der Abschiebung. „Wir machen uns große Sorgen um sie“, erzählen ihr Sohn Jeton Bejta und dessen Frau Sabahat. Der 31-Jährige kam als Neunjähriger nach Lingen, spricht fließend Deutsch. Gemeinsam mit Sabahat hat er drei Kinder, zwei von ihnen spielen bei Lingener Stadtvereinen Fußball. Jeton ist besser dran als seine Eltern. Er besitzt eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe. Zurzeit macht der Roma eine Umschulung zum Feinwerkmechaniker in Lingen, nachdem ihn eine Zeitarbeitsfirma im April wegen der Konjunkturkrise entlassen hatte. „Im ersten Test hatte ich eine 1“, erzählt er stolz. Jeton bezieht während der Umschulung Arbeitslosengeld. Seine Frau sucht einen Job, um das Einkommen weiter aufzubessern. Nur wer nachweisen kann, dass er seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten kann, hat eine Chance, in Deutschland zu bleiben. Von einem „Kehraus der Kosovo-Minderheiten“ spricht deshalb die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Dass Nevrije und Agim Bejta, sie ist 53 und er 55 Jahre alt, noch auf dem ohnehin engen deutschen Arbeitsmarkt eine Stelle finden, ist unwahrscheinlich. Frau Bejta ist nach einem schweren Autounfall im Jahr 1990 ohnehin körperlich stark eingeschränkt, muss Morphium nehmen, um die Schmerzen aushalten zu können. In einer Bescheinigung zur Vorlage beim Ausländeramt stellt ein Lingener Facharzt klar, „dass eine ausreichende ärztliche und medikamentöse Therapie und Schmerztherapie im Kosovo zurzeit ausgeschlossen ist. Sollte Frau Bejta Deutschland verlassen müssen, sind schwere körperliche und psychische Folgeschäden zu befürchten.“ Die Stadt Lingen ist aufgrund der bundesgesetzlichen Regelungen verpflichtet, Vertriebene aus dem Kosovo dem niedersächsischen Innenministerium zu melden und deren Rückführung in die Wege zu leiten, wenn keine Aufenthaltserlaubnis vorliegt. „Für die hiesigen Ämter ist dies eine ganz schwierige Situation, weil ihnen faktisch die Hände gebunden sind“, sagt Hermann-Josef Schmeinck. Der Sozialarbeiter beim SKM in Lingen arbeitet dort seit 22 Jahren als Flüchtlingsbetreuer. Er kennt Jeton Bejta schon aus der Zeit, als dieser ein neunjähriger Junge war und in Lingen mit seinen Eltern eine neue Heimat fand. Eine Abschiebung der Eltern nach 22 Jahren in eine völlig ungewisse Zukunft und angesichts des Gesundheitszustandes von Nevrije Bejta empfindet der Fachmann für Flüchtlingsfragen als inhuman. „Vom Menschlichen her gesehen ist das völlig daneben.“ Den Fall Bejta sieht Schmeinck deshalb als exemplarisches Beispiel einer verfehlten oder gar nicht vorhandenen Integrationspolitik in Deutschland. „Vor zehn Jahren wäre alles noch viel einfacher gewesen, da hätte der Vater von Jeton Bejta auch noch eher eine Arbeit gefunden“, sagt der Sozialarbeiter. Doch zu dieser Zeit habe es für „geduldete“ Flüchtlinge faktisch kaum eine Chance gegeben, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Die Sichtweise Schmeincks und anderer Hilfsorganisationen kollidiert mit der staatlichen. „Wir sagen, dass es keinen Sinn macht, Menschen nach 22 Jahren abzuschieben. Der Staat sagt: Wir können nicht jeden behalten“, beschreibt der Flüchtlingsbetreuer den Zwiespalt. Frank Schöttmer ist um seine Aufgabe deshalb nicht zu beneiden. Er arbeitet im Ausländeramt der Stadt Lingen. Für ausländische Flüchtlinge verkörpern Schöttmer und seine Kollegen „den Staat“. Die Stadt habe hier aber keinerlei Ermessensspielraum, betont Erster Stadtrat Dr. Ralf Büring. Jeton Bejta macht sich keine Illusionen darüber, was seine Eltern im Falle einer Abschiebung erwartet. Im Kosovo lebt neben der albanischen Mehrheit eine Reihe ethnischer Minderheiten. „Wir hatten dort ein Haus, aber es wurde alles plattgemacht“, beschreibt Jeton Bejta die Verfolgung von Minderheiten wie Roma im Kosovo durch Albaner und auch Serben. Eine „Nacht-und-Nebel-Aktion“ zur Abschiebung haben Agim und Nevrije Bejta nicht zu befürchten, auch wenn dies kein Trost für sie sein wird. Aufgrund des Gesundheitszustandes der Frau muss in jedem Falle vorher eine Untersuchung auf Reisefähigkeit erfolgen. Wann das Ehepaar abgeschoben und damit von seinen Kindern, Schwieger- und Enkelkindern in Lingen getrennt wird, ist noch offen. Jetons Ehefrau Sabahat, die Nevrije seit Jahren pflegt, weiß nur eines: „Das würde meine Schwiegermutter nicht überleben.“ -------------------------------------------------------- © Neue OZ online 2006 Alle Rechte vorbehalten. --------------------------------------------------------