„AnkER-Zentren“ – verdorbener Wein in neuen Schläuchen?

„Der Anker ist ein Symbol für Hoffnung und Treue. Die Ankerzenten dagegen vermitteln in erster Linie Hoffnungslosigkeit. Universelle Menschenrechte, subjektive Rechtspositionen, Menschenwürde und Kinderrechte werden dabei über Bord geworfen. Die Folgen dieser Entrechtung werden nicht nur die dort untergebrachten Menschen spüren, sondern letztlich auch wir als Gesellschaft – diese Entscheidung wird uns alle moralisch prägen.“
Meike Riebau (Save the Children)/Nerea González Méndez de Vigo (BumF), Ankerzentren – verdorbener Wein in neuen Schläuchen?

Großeinrichtungen wie „AnkER-Zentren“ sind Orte von Rechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen. Minderjährige, egal ob mit oder ohne Eltern, haben in solchen Einrichtungen nichts verloren. Eine rechtliche Analyse von Nerea González Méndez de Vigo (BumF) und Meike Riebau (Save the Children) unter dem Titel „Ankerzentren – verdorbener Wein in neuen Schläuchen“ ist seit kurzem auf dem Verfassungsblog zu finden.

Ein Ausschnitt der Analyse mit dem Fokus auf Minderjährige:

„Besondere Auswirkungen von Ankerzentren auf Kinder
Die Konsequenzen dieser Entrechtung zeigen sich insbesondere bei Kindern. Für diese Gruppe sind die Pläne des Innenministeriums besonders besorgniserregend und stehen im Widerspruch zu geltenden Kinder- und Teilhaberechten.

Problematisch erscheint insbesondere die Frage des Bildungszugangs für Kinder. Das Recht auf Bildung ist in zahlreichen völkerrechtlichen Regelwerken enthalten: Die UN-Kinderechtskonvention (KRK) bestimmt in Art. 28 in Verbindung mit Art. 22, dass jedes Kind ein Recht auf Schule hat. Nach Art. 22 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sowie Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK darf niemandem das Recht auf Bildung verwehrt werden; der Anspruch der in der Konvention anerkannten Rechte ist ohne Diskriminierung wegen der nationalen Herkunft zu gewährleisten (Art.  14 EMRK). Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union legt in Art. 14 Abs. 1 und 2 zudem fest, dass jede Person das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung hat. Dieses Rechtumfasst auch die Option, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen. Es umfasst zudem das Recht auf Gleichbehandlung mit Inländern und damit insbesondere auf Zugang zu Regelbeschulung. Letzteres ist in Art. 3 lit. E des UNESCO Übereinkommens gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen von 1960 (UDÜ) verbindlich festgelegt. Daneben enthält das Europarecht migrationsspezifische Vorgaben in der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33): Der Zugang zum Regelschulsystem muss danach nach drei Monaten erfolgen. Die Realität in den Vorbildern der Ankerzentren zeigt: Kinder, die in den existierenden bayerischen Transitzentren untergebracht sind, wird der Besuch von Regelschulen regelmäßig verwehrt. Die etwa 200 Kinder in Manching, Deggendorf und Regensburg wurden – trotz oft über drei Monate hinausgehender Aufenthalte – mit unterkunftsinternem „Ersatzunterricht“ abgespeist. Das reicht nicht, entschied nun das Verwaltungsgericht München in sechs Fällen (vgl. PM Pro Asyl). Und auch in Erstaufnahmeunterkünften in anderen Bundesländern sind Kinder immer weiter ausgeschlossen vom regulären Schulbesuch und müssen mit altersgemischten Gruppen und abgespeckten Bildungsangeboten vorlieb nehmen, obwohl dies völker- und europarechtswidrig ist. In manchen Bundesländern sind Kinder sogar gesetzlich von der Schulpflicht ausgenommen, solange sie in der Aufnahmeeinrichtung leben. Das hat langfristige und katastrophale Folgen für die Kinder: Sie verlieren wertvolle Bildungsjahre, zusätzlich zu den bereits verlorenen Jahren durch die Flucht

Selbst beim Kinderschutz gibt es kein Halt: So sollen auch unbegleitete Minderjährige, die seit 2005 in der Primärzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe verortet sind, zunächst in solchen Zentren untergebracht werden (Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe). Dies widerspricht nicht nur den klaren Vorgaben der UN Kinderrechtskonvention, wonach geflüchteten Kindern im Einklang mit den in der UN Kinderrechtskonvention enthaltenen Grundsätzen (Art. 20 i.V.m. Art. 22) „[…]derselbe Schutz zu gewähren [ist] wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner familiären Umgebung herausgelöst ist,“ sondern auch dem klaren Gesetzeswortlaut des SGB VIII. Die Alterseinschätzung ist dabei immanenter Teil der jugendhilferechtlichen Zuständigkeit (§ 42f SGB VIII). Vergegenwärtigt man sich die prekären Situationen, die herrschten, als allein flüchtende 16- und 17-Jährige ohne ausreichende pädagogische Versorgung in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht und weitgehend sich selbst überlassen wurden, so ist klar, warum die aktuelle Gesetzeslage nicht nur rechtlich konsequent, sondern richtig und wichtig ist.“

Ergänzend dazu noch der Hinweis auf einzelne Stellungnahmen und Pressemitteilungen des Flüchtlingsrats:

Pro Asyl und Flüchtlingsräte kritisieren Ankerkonzept als Absage an Willkommenskultur

Über „Lager“ und „AnkER-Zentren“: AnkER-Zentren: „Normalfall“ Lager? Die Institutionalisierung der Abgrenzung

Stellungnahme von 24 Verbänden und Organisationen: Ankerzentren für Kinder und Jugendliche ungeeignet

Zum Internationalen Kindertag am 1. Juni: Geplante AnKER-Zentren verletzen elementare Rechte von Minderjährigen

Weitere Texte sind auf dieser Seite zu finden.

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