Brüssel: Europäischer Rat berät über Flüchtlingspolitik

PRO ASYL warnt vor dem Ausstieg Europas aus dem individuellen Recht auf Asyl

Die Flüchtlingspolitik der EU und das europäische Asylrecht werden ab Donnerstag TOP 1 des Gipfeltreffens in Brüssel. Auf dem Tisch liegen Pläne der EU-Kommission für eine Flüchtlingspolitik, die das individuelle Recht auf Asyl fundamental beschädigen werden. Diese sollen bei dem Treffen weiter verschärft werden.

»Die EU will das europäische Flüchtlingsrecht verbiegen, bis es sinnentleert ist«, warnt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Flüchtlinge sollen in angeblich sichere Zonen in Drittstaaten außerhalb Europas verfrachtet werden. Die Pläne für Kooperationen mit Drittstaaten sind schon weit gediegen. »Es sollen willige Staaten gefunden werden, die gegen Zusagen durch die EU bereit sind, Schutzsuchende aufzunehmen, egal ob diese einen Bezug zu diesem Staat haben oder nicht«, befürchtet Burkhardt. Die EU behauptet, sich strikt an der GFK und dem Primärrecht ausrichten zu wollen. Faktisch spielt es keine Rolle, ob Flüchtlingsschutz in den kooperierenden Drittstaaten tatsächlich gewährleistet ist. Nun will die EU ihr Asylrecht so verändern, dass dies auch rechtlich möglich ist.

Im Unterschied zum bisherigen Recht sollen die Kriterien für diese angeblich sicheren Drittstaaten drastisch gesenkt werden. Die Notwendigkeit der Verbindung des Asylsuchenden zu dem sicheren Drittstaat (»sodass es vernünftig erscheint, dass sich diese Person in den Staat begibt«, Art. 38 Asylverfahrensrichtlinie, Abs. 2 a) – soll weiter aufgeweicht oder gar ganz gestrichen werden. Erreicht werden soll, dass Asylsuchende, die z.B. über die zentrale Mittelmeerroute ankommen, in andere aufnahmebereite Drittstaaten geschickt werden, durch die sie noch nicht einmal durchgereist sind.

Schutzsuchenden soll das Recht genommen werden, einen Asylantrag in der EU zu stellen. Nach den Plänen der EU-Kommission sollen für Asylsuchende, die in der EU Schutz suchen, statt eines Asylverfahrens flächendeckend verpflichtend Zulässigkeitsverfahren vorgeschaltet werden. Dies ist die Folge, wenn aus einer Richtlinie eine für die Mitgliedsstaaten verbindliche Verordnung wird. Dann würde nicht mehr die Schutzbedürftigkeit geprüft, sondern entschieden, ob ein Asylantrag in der EU überhaupt gestellt werden darf, also »zulässig« ist. Nach diesem Konzept will die EU systematisch Asylsuchende in angeblich sichere Drittstaaten außerhalb der EU zurückweisen, ohne ihre Fluchtgründe oder das Recht auf Familieneinheit geprüft zu haben.

Zusätzlich wurden Pläne Deutschlands und Frankreichs Ende Februar öffentlich. Bei erhöhten Zugangszahlen in Europa muss der angeblich »sichere« Drittstaat zusätzlich nicht einmal in Gänze sicher sein – sondern nur in einem Teilgebiet, so der deutsch – französische Plan. Solche »Inseln« sollen gerade noch Schutz vor Folter nach Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bieten, um Flüchtlinge dorthin zurück zu verfrachten.

Zwar sind diese Pläne noch nicht beschlossen. Die Innenminister der EU beraten jedoch bereits die Umsetzung. Laut einem von der taz veröffentlichten Dokument sollen in Libyen sogenannte »Legalitätsinseln« geschaffen werden. Wörtlich heißt es im Nachbericht zum Treffen des Rates der EU-Innen- und Justizminister am 27./28. März in Brüssel: »In LBY prüfe man die Einrichtung von »Legalitätsinseln«, in denen die Polizei gut ausgestattet werde und die für Rückführungen genutzt werden können.«

Der von der Bundesregierung maßgeblich geschmiedete EU-Türkei-Deal war der Beginn. Nun wird er entgrenzt und auf jeden willigen Staat ausgeweitet, der sich bereit erklärt, gegen Geld, Visabegünstigungen, Wirtschaftsversprechungen, Militärhilfe oder andere Zusagen, Flüchtlinge der EU abzunehmen.

»Das ist der Ausstieg eines Kontinents aus dem weltweit gültigen, individuellen Asylrecht«, so PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Weil in Europa die Solidarität absolut unzureichend ist, lädt man die Verantwortung einfach auf andere Staaten ab. PRO ASYL befürchtet einen weltweiten Domino-Effekt, der Flüchtlings- und Menschenrechte einschneidend beschränkt. Wenn das reiche Europa aus dem individuellen Asylrecht aussteigt, werden ärmere Staaten folgen.

Keine Solidarität in Europa

Ein weiterer Schwerpunkt des geplanten europäischen Asylsystems ist die Zwangsverteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas. Nach den Plänen der EU-Kommission zur Dublin-IV-Verordnung (Link Dublin IV) soll ohne jegliche zeitliche Befristung aus anderen EU-Staaten in den EU-Ersteinreisestaat abgeschoben werden können. Das geltende Dublin-System funktioniert nicht, da in einigen EU-Staaten Menschenrechte verletzt werden oder diese sich weigern, Schutzsuchende zurückzunehmen. Nur in etwas mehr als 10 Prozent aller Fälle wurden im 1. Quartal 2017 aus Deutschland Schutzsuchende in andere Staaten überstellt (BT-Drucksache 18/12623, S. 45): 11.059 Zustimmungen im 1. Quartal 2017 stehen nur 1.344 tatsächliche Überstellungen gegenüber. In der Regel ging bisher die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens nach sechs Monaten auf den Aufenthaltsstaat über. Nach den Plänen der EU-Kommission soll es mit der neuen Dublin-IV-Verordnung keine solche zeitliche Befristung für die Überstellung mehr geben. Für die Flüchtlinge bedeutet dies, dass kein EU-Staat ihre Schutzbedürftigkeit mehr prüft.

Die fehlende Solidarität in Europa zeigt sich auch in der Bereitschaft, aus Grenzstaaten Schutzsuchende ausreisen zu lassen. Obwohl Deutschland sich im 1. Quartal 2017 für 2.079 Schutzsuchende, die sich in Griechenland aufhalten, zuständig erklärt hat, wurden nur 837 Überstellungen vollzogen. Hierbei handelt es sich Familienangehörige, die nach der Dublin-III-Verordnung nach Deutschland einreisen dürfen.

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