Landkreis Hildesheim lässt Anuar Naso weiter im Regen stehen

Die Stellungnahme des Landkreis Hildesheim zum tragischen Fall der am 01.02.2011 nach Syrien abgeschobenen Flüchtlinge Bedir und Anuar Naso ist von erschreckender Kaltschnäutzigkeit. Die deutsche Botschaft hatte – auf Veranlassung des LK Hildesheim, wie die Botschaft erklärte – die Familie aufgefordert, eine Altersfeststellung in Bulgarien durchzuführen. Anschließend werde man, so die Botschaft, die Unterlagen an den LK Hildesheim schicken, der über die Visumserteilung befinden solle. Nun behauptet der Landkreis, die deutsche Botschaft sei zuständig. Dieses Ping-Pong-Spiel kennenwir seit Jahren. Wahr ist, dass die deutsche Auslandsvertretung über die Erteilung des Visums entscheidet, jedoch hierzu vorher die Stellungnahme der zuständigen Ausländerbehörde in Hildesheim einholt. Da der Landkreis Hildesheim sich seit einem Jahr in der Sache nicht rührt, haben wir das Innenministerium als Aufsichtsbehörde im Sommer 2012 eingeschaltet. Wie so oft bewegt sich nichts, und jede Behörde zeigt mit dem Finger auf die andere.

Die furchtbare Folge des Behördenhandelns, dass nämlich Anuar und Bedir Naso nach ihrer Abschiebung in Syrien festgenommen und gefoltert wurden, hat sicher niemand so gewollt. Auch wenn das Handeln der Verantwortlichen (Gespräche über den Kopf der Betroffenen hinweg mit der Schule, Einleitung und Durchführung der Abschiebung im Morgengrauen mit einem 17-köpfigen Polizeikommando und Hunden ohne Ankündigung usw.) vollkommen unverantwortlich war: Fehler passieren. Unverzeihlich ist in unseren Augen aber die Tatsache, dass weder der Landkreis Hildesheim noch das niedersächsische Innenministerium anschließend irgendetwas unternommen haben, um den entstandenen Schaden so weit wie irgend möglich wieder gutzumachen und den beiden Opfern der Abschiebung eine schnelle Rückkehr zu ermöglichen. Das Gegenteil geschieht: Mit haltlosen Vorwürfen und falschen Behauptungen wird versucht, den Opfern auch noch die Schuld aufzubürden für das, was ihnen angetan wurde.

Die vom Landkreis Hildesheim veranlasste medizinische Altersfeststellung ist mit Unsicherheiten behaftet aufgrund großer individueller Unterschiede und damit im Zusammenhang stehender Varianzen von ± zwei Jahren. Die in Bulgarien durchgeführte Untersuchung der Handwurzelknochen ergab, Anuar sei 17 Jahre alt. Eine von der deutschen Botschaft daraufhin geforderte zweite Untersuchung u.a. des Zahnstandes und der Entwicklung der Schlüsselbeine kam zu dem Ergebnis, Anuar sei 19 Jahre alt. Wir haben uns daraufhin die Röntgenaufnahmen zuschicken lassen und sie einem auf Altersfeststellungen spezialisierten Radiologen der Medizinischen Hochschule vorgelegt, der in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis kam, Anuars in den vorliegenden Papieren angegebenes Alter (16 Jahre) sei aus medizinischer Sicht glaubhaft. Warum unter diesen Umständen eine Übersetzung des zweiten in Bulgarien erstellten Gutachtens, das Anuars Alter auf 19 Jahre bestimmte, notwendig sein soll, weiß wohl nur der Landkreis Hildesheim.

Die Anordnung einer medizinischen Altersfeststellung war von vornherein unsinnig und diente augenscheinlich nur dem Zweck, eine Rechtfertigung für das ignorante Verhalten der Behörden zu finden: Der Landkreis Hildesheim weiß selbst sehr genau, dass sich offizielle Unterlagen und ausgestellte Papiere des syrischen Staates nicht durch – ohnehin ungenaue – medizinische Altersfeststellungen in Frage stellen lassen. Die Bundesrepublik ist vielmehr gehalten, die in den syrischen Unterlagen festgehaltenen Personenstandsdaten anzuerkennen. Dem Landkreis liegen die in Syrien ausgestellten Originalpapiere vor. Mit welcher Chupze weigert sich der Landkreis, die Papiere zur Kenntnis zu nehmen?

Schließlich versucht der Landkreis, die Familie durch rufschädigende Behauptungen schlecht zu machen. Dabei weiß der Landkreis Hildesheim selbst, dass es nach der Abschiebung von Anuar und Bedir Naso in Syrien eine Amnestie gegeben hat, die registrierten staatenlosen Kurden unter bestimmten Umständen die Möglichkeit der Einbürgerung bot. Noch während Anuar und Bedir Naso in Haft waren, hat sich eine in Syrien lebende Schwester um eine Einbürgerung der Familie in Syrien bemüht. Den daraufhin ausgestellten syrischen Papieren für die gesamte Familie ist zu entnehmen, dass die Papiere aufgrund dieser Entscheidung des syrischen Staates erfolgte, bestimmte registrierte staatenlose Kurden in Syrien einzubürgern. Warum der Landkreis dennoch von „Täuschung“ spricht, ist vollkommen unverständlich.

Weitere Infos: Rechtsanwalt Dündar Kelloglu, Tel. 0511 – 13934
siehe auch: Petition für Anuar Naso

gez. Kai Weber

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1 Gedanke zu „Landkreis Hildesheim lässt Anuar Naso weiter im Regen stehen“

  1. Alles, was jetzt veranlasst wird, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist wieder nur ein Spiel auf Zeit, auf Gesichtswahrung, wie gewohnt. Und wieder im Landkreis Hildesheim. Der Herr Landrat Wegner hat das Amt offenbar nicht im Griff! Wenn seine Beamten unfähig sind, wesentliche Fragen wie das Alter des Kindes vor einer lebensentscheidenden Maßnahme wie der Abschiebung zu klären, wird natürlich wieder der Bürger zur Kasse gebeten durch so viele Gutachten, bis das gewünschte Ergebnis vorliegt oder auch nicht. Das nenne ich Verschwendung von Steuergeldern.
    Doch das eigentliche Übel ist natürlich, dass unsere Gesetzgebung es hergibt, dass Familien getrennt werden. Wieso sollte es richtig sein, dass ein Familienmitglied bleiben darf und der Rest muss weg? Was für eine unmenschliche Logik liegt da zugrunde? Es wird Zeit für eine Reform. Mit der Zwangsprivatisierung von Uwe Schünemann ist der erste Schritt in die richtige Richtung erfolgt. Hoffentlich folgen bald weitere.

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