Das Lager als Struktur bundesdeutscher Flüchtlingspolitik

Fachbeitrag: Tobias Pieper

Einleitung
Menschen, die in die BRD fliehen und hier einen Asylantrag stellen, werden in dezentral gelegenen über das Bundesgebiet verteilten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Dies betrifft auch diejenigen Menschen, deren Anträge nach meist mehrjähriger Bearbeitungszeit abgelehnt wurden, die aber aus unterschiedlichen Gründen nicht abgeschoben werden können. Diese Menschen erhalten ein Aufenthaltsrecht in Form einer Duldung, die eine maximale Dauer von einem Jahr, in der Regel aber eher ein bis drei Monate besitzt und immer wieder verlängert werden muss (sog. Kettenduldungen). An dieser Situation hat sich auch mit dem neuen Zuwanderungsgesetz nichts geändert, die Situation hat sich bis auf Ausnahmen eher verschlechtert. Diese Menschen werden über das Asylbewerberleistungsgesetz versorgt, bekommen ihre Hilfe zum Lebensunterhalt vorrangig in Form von Sachleistungen ausgezahlt und unterliegen einem eingeschränkten Arbeitsmarktzugang.

Zurzeit leben in der BRD laut Statistik der Bundesregierung knapp 250.000 Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus, meiner Recherche nach sind derzeit ca. 110.000 Tausend MigrantInnen in lagerähnlichen Unterkünften untergebracht. Ursprünglich war dieses Unterbringungssystem für die Verwaltung und Unterbringung von über einer Millionen Menschen angelegt, aufgrund der rückläufigen Flüchtlingszahlen findet derzeit eine Reduzierung statt. Ich bezeichne dieses System, dass die Verwaltung und Unterbringung der Bevölkerung einer mittleren Großstadt organisiert und deren zentrale Komponente die Gemeinschaftsunterkünfte sind, als dezentrales Lagersystem. Anfangsglied sind die Zentralen Aufnahmestellen, große ßbergangslager, es folgen die zur langfristigen Unterbringung angelegte dezentrale Gemeinschaftsunterkunft als Sammellager, als neues Zwischenglied gibt es seit ein paar Jahren die Ausreiseeinrichtung nach § 61 Aufenthaltsgesetz als Abschiebelager, und am Ende steht das Abschiebegefängnis als klassisches Internierungslager.

Wie sehen diese Lager aus?
Kurz die wichtigsten Merkmale und Unterschiedlichkeiten: in der Regel werden alte Kasernenkomplexe, heruntergekommene Plattenbauten oder alte Hochhäuser als Lager genutzt. Diese liegen meistens in reinen Industriegebieten oder am Stadtrand, in den ländlichen Bundesländern wie Brandenburg ist diese Situation noch einmal verschärft durch die Isolation der Unterkünfte, die versteckt in den Wäldern liegen. Die kleinsten Unterkünfte beherbergen 100 Menschen, die größte in Berlin hat eine zurzeit nicht ausgelastete Kapazität von 1400 Plätzen.

Durch ihre vor der ßffentlichkeit versteckten Lage sind die Partizipationsmöglichkeiten an den kulturellen Strukturen der Gesellschaft als auch die Erreichbarkeit der zum Leben notwendigen Geschäfte extrem eingeschränkt und aufwendig. Bei der Auszahlung von Sachleistungen kommt noch hinzu, dass die Auswahl der Einkaufsmöglichkeiten sehr eingeschränkt ist. Die Geschäfte sind auch meistens eher die teureren und weit weg von den abgelegenen Heimen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus meinen Untersuchungen ist die Leere der Heime. Die Menschen migrieren trotz Residenzpflicht in Richtung größerer Städte und Fabriken oder Arbeitsmöglichkeiten. In den Lagern bleiben so vor allem Familien, Kranke und bereits Depressive. In den Brandenburger Lagern leben vielleicht 10 % der dort untergebrachten Menschen, die anderen kommen zwischen durch mal ein paar Tage oder zumindest einmal im Monat zu den obligatorischen Sozialamtsterminen. Die Berliner Heime sind voller, jedoch schläft auch hier vielleicht ein Drittel bis zur Hälfte der BewohnerInnen bei FreundInnen oder Verwandten. Diese Tatsache ist direkte Folge der unmenschlichen Lebensbedingungen und der Möglichkeiten, in den irregulären Sektoren der bundesdeutschen ßkonomie Geld zum Leben zu verdienen.

Warum der Lagerbegriff?
Hier ist eine kurze historische Herleitung wichtig, denn aus dieser wird auch das heutige Zusammenspiel zwischen Verwertungsinteressen und rassistischer Entrechtung deutlich:
Eine allgemeine Definition von Lager aus den unterschiedlichen Lexika lässt sich als eine behelfsmäßige, vorübergehende, provisorische Unterbringungsstätte für viele Menschen zusammenfassen. Die Kategorisierung als Lager trifft auf die Gemeinschaftsunterkünfte zu, wobei das Lagerkonzept, also die kurzfristige und provisorische ßbergangslösung bis zur schnellen Entscheidung über den Asylantrag, im Kontrast zur Realität der jahrelangen oder jahrzehntelangen Unterbringung steht. Die für ein Lager weiter zentrale Dürftigkeit des Lebens aufgrund des provisorischen Charakters ist bei den Gemeinschaftsunterkünften politische
Zielsetzung. Mit ihrer Installation im Rahmen der Neuordnung des Asylverfahrensgesetz 1981 sollten potentiell noch fliehende Flüchtlinge durch die schlechten Lebensbedingungen in der BRD vor einer Flucht abgeschreckt werden.

Lothar Späth sagte zum einjährigen Bestehen des ersten Lagers 1982, „[…] die Zahl der Asylbewerber sei erst gesunken, als „die Buschtrommeln signalisiert haben – geht nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager““ (Schwäbisches Tagblatt 5.5.1982). Die wichtigsten Funktionen der Lagerunterbringung sind die gesellschaftliche Isolation der Betroffenen und die Herabsetzung des Lebensstandards zur Vertreibung der Menschen aus der Bundesrepublik, die Perspektivlosigkeit des Aufenthalts soll erlebbar werden. Gleichzeitig dienen die Lager der direkten Kontrolle der MigrantInnen, ein Behördenzugriff zur Abschiebung soll immer möglich sein.

Die Dezentralität des Lagersystems entstand historisch durch eine Verteilung von Asylsuchenden auf die Kommunen zur besseren Ausbeutung und einer knapp 6 Jahre nach geschalteten Verlagerung und Entrechtung. Nach dem Anwerbestopp 1973 gab es in der deutschen Wirtschaft den Wunsch nach billigen Arbeitskräften. Diesem Wunsch kam die Politik mit der Ende 1974 beschlossenen Verteilung von Asylbewerbern vor Abschluss ihres Verfahrens auf die Länder und Kommunen nach, Anfang 1975 wurden sie dann zum Arbeitsmarkt zugelassen. Ende der 80er Jahre kam es dann zu einer rassistischen Kampagne innerhalb des Bundestages, deren Folge die Verlagerung der bereits dezentral Verteilten Flüchtlinge war.

Die Dezentralität der deutschen Lager lässt sich also auch aus der bürokratischen Effizienz erklären, die sich aus einer dezentralen Unterbringung und Verwaltung ergibt, vor allem dann, wenn diese langfristig, also für die nächsten Jahre und Jahrzehnte angelegt ist und zurzeit eine halbe Millionen Menschen betrifft. Schon in den Entstehungs- und Konstitutionsbedingungen des bundesdeutschen Lagersystems wird deutlich, dass die heutige Struktur nur als ein Zusammenspiel und zeitlichem Nacheinander von ökonomischen Anforderungen und rassistisch begründeter Ausgrenzung zu verstehen ist.

Entwicklungen in Niedersachsen
In Niedersachsen können wir derzeit die Konturen des zukünftigen Umgangs mit hier nicht gewollten MigrantInnen sehen. Denn aufgrund der Effektivität der europäischen Grenzsicherung kommen immer weniger Asylsuchende in die BRD, so dass die Kommunalen Lager vermehrt leer stehen. Gleichzeitig hat die Politik mit den Ausreiseeinrichtungen nach § 61 Aufenthaltsgesetz ein Instrument zur Verfügung, welches das jahrelange Sich- Einrichten mit einem Duldungsstatus in den Kommunen verhindern soll. So ist eine neue administrative Strategie, die Verteilung neu ankommender Flüchtlinge in die Kommunen komplett zu vermeiden. Dies ist in Niedersachsen so gut wie erreicht, die Zahl der Verteilten Asylsuchenden geht jedes Jahr massiv zurück.

Grundlage ist die Installation eines sehr engen Lagerkreislaufes, welcher hier aus drei multifunktionalen Großlagern besteht. In Bramsche werden bis zu 550 neu ankommende Asylsuchende untergebracht und sollen das Lager bis zur Abschiebung oder der freiwilligen Ausreise nicht mehr verlassen. Perspektivlos werden sie durch Psychotechniken unter Druck gesetzt, das Land möglichst schnell wieder zu verlassen.

Zusätzlich gibt es die beiden Multifunktionslager Braunschweig und Oldenburg. Hier sind drei Lagertypen in einem Komplex untergebracht, die Erstaufnahmeeinrichtung, die Gemeinschaftsunterkunft und die Ausreiseeinrichtung. Die MigrantInnen wechseln nur noch als Akte die unterschiedlichen Durchgänge in ihrem Behördenweg. Die Ausreiseeinrichtung ist gleichzeitig offen für bereits seit Jahren in den Kommunen lebende MigrantInnen. Der Lagerkreislauf wird damit enger. Eigentlich sollen Asylsuchende diesen gar nicht mehr verlassen und nach und nach alle Geduldeten vertrieben werden. Denn es gibt nur drei Wege aus dem Lager: Die so genannte freiwillige Ausreise, ein Untertauchen in die Illegalität oder die Abschiebung.

Das Abschiebelager Bramsche
Im Folgenden werde ich noch auf das Lager Bramsche, welches als Modelllager für das Konzept der freiwilligen Ausreise gelten kann, eingehen. Das Lager wurde als Modellprojekt X bekannt, eingeführt noch unter Ministerpräsident Schröder 1998. Parallel zu NRW wurden hier aus den Niederlanden importierte Konzepte des neuen Umgangs mit unerwünschten aber nur schwer abschiebbaren MigrantInnen erprobt. Die Ergebnisse dieser Erprobung wurden dann unter Kanzler Schröder als Ausreiseeinrichtungen nach §61 Aufenthaltsgesetz kodifiziert. Offiziell ist Bramsche keine Ausreiseeinrichtung sondern wird als Sondergemeinschaftsunterkunft geführt, in der eine besondere Rückkehrberatung durchgeführt wird. Es ist jedoch nur das Zielpublikum, warum Bramsche kein Lager nach §61 ist. Inhaltlich werden hier die gleichen Konzepte angewandt.

Bramsche ist mit 550 Plätzen und ca. 80 vollen MitarbeiterInnenstellen das größte seiner Art. Es richtet sich jedoch im Gegensatz zur klassischen Ausreiseeinrichtung nicht an bereits in den Kommunen lebende Geduldete. In Bramsche werden alle neu ankommenden Asylsuchenden eingewiesen, deren Asylverfahren wahrscheinlich abgelehnt wird. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass das über 90% sind.

Das Lager Bramsche sollen die Menschen nur auf den drei beschriebenen Wegen wieder verlassen, also untertauchen, ausreisen oder abschieben. Die Einzelfälle werden hierbei gerne als Zeichen dafür verwendet, dass auch Asylanträge positiv entschieden werden. Dies sind jedoch höchsten 1-2 Menschen pro Jahr. Dies wird deutlich, wenn wir uns die Zahlen angucken, hier für das Jahr 2005. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Bramsche liegt bei unter einem Jahr, das Konzept des Unter-Druck-Setzens ist also erfolgreich. Ca. 35 % (169) sind Dauergäste. MigrantInnen, die widerständig sind und nicht Kooperieren bei der eigenen Ausreise, die aber nicht abschiebbar sind. ßhnlich viele MigrantInnen ziehen ein Leben in der Illegalität vor, 34 % (166). Diese werden zynisch im Behördendeutsch als undokumentierte freiwillige Ausreise auf der positiven Seite des Konzeptes verbucht. Nur durch diese Zahlenfälschung werden diese Illegalisierungsmaschinen zum Erfolgskonzept. Kooperiert und dann ausgereist sind nämlich nur 20 % (95), weitere 11 % (53) sind aus Bramsche abgeschoben worden.

Das Konzept der freiwilligen Ausreise ist eine zynische Wortverdrehung, denn die Freiwilligkeit bezieht sich ausschließlich auf den fehlenden körperlichen Zwang. Mitgedacht ist immer der psychische Druck, der in Bramsche durch unterschiedliche Psychotechniken aufgebaut ist und der das Ziel hat, den Eingewiesenen die eigenen Perspektivlosigkeit vor Augen zu führen und sie zur Ausreise zu drängen. So wurde der Begriff zum Unwort des Jahres 2006: Zur Begründung der Entscheidung erklärte die Jury, dass die Freiwilligkeit einer solchen Ausreise von Asylbewerbern aus der Bundesrepublik in vielen Fällen bezweifelt werden könne. Damit stehe das Wort in einem schiefen Verhältnis zur Realität.

Kontakt: tobias.pieper@web.de

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