Die niedersächsischen Flüchtlingslager und die Proteste dagegen

[2008]

Bereits seit mehreren Jahren haben sich BewohnerInnen der drei vom Land Niedersachsen geführten Lager für Flüchtlinge in Braunschweig, Oldenburg-Blankenburg und Bramsche-Hesepe über ihre dortige Situation beschwert und in Demonstrationen und Protestaktionen darauf aufmerksam gemacht. Zu letzt waren die Proteste Ende des Jahres 2006 stärker gewesen, als im Lager Oldenburg-Blankenburg und anschließend in Bramsche-Hesepe etliche BewohnerInnen die gemeinnützige Arbeit verweigerten, also streikten und das Kantinenessen boykottierten. Und auch die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Freien Wohlfahrtspflege und der Flüchtlingsrat Niedersachsen haben in einem Memorandum im Jahre 2004 die frühzeitige dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden in den Kommunen gefordert. Mehrere wissenschaftliche Studien haben die Lebenssituation der Flüchtlinge in den Lagern untersucht und ihre negativen Auswirkungen beschrieben. So ist im Jahre 2005 die Regionalanalyse von Birgit Behrensen und Verena Groß, Sozialwissenschaftlerinnen an der Universität Osnabrück, erschienen, die u.a. eine besondere gesundheitliche Belastung des Lebens im Lager für die Asylsuchenden feststellt und deren Verlust der Handlungskompetenz und jeglicher Perspektiven in einem fremdbestimmten Alltag beschreibt.

Mit der Neukonzeption der Unterbringung von AsylbewerberInnen im Jahr 2005 durch die Landesregierung sind die Bereiche Unterbringung und Aufenthaltsrecht verwaltungstechnisch zusammengeführt worden. Seitdem wird das Ziel verfolgt, „Ausländer, die keine dauerhafte Bleibeperspektive im Bundesgebiet haben, nach Abschluss der Aufnahmeverfahren vorrangig in den landeseigenen Gemeinschaftsunterkünften“ unterzubringen, wie die Landesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Bündnis90/Die Grünen 2006 (?) erklärte. In einem Schreiben, das das Niedersächsische Innenministerium dem Flüchtlingsrat Niedersachsen im Vorfeld der Anhörung zusandte, wird dies neben der Tatsache, dass die Kommunen von der Aufgabe der Unterbringung entlastet werden sollen wiederholt damit begründet, dass Asylsuchende, denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine schlechte Prognose bzgl. ihres Asylantrages ausgestellt hat, zur „freiwilligen“ Ausreise gedrängt werden sollen. Ein erheblicher Nachteil der dezentralen Unterbringung werde vermieden, denn „das Leben in einer Gemeinde führt erfahrungsgemäß zu einer faktischen Verfestigung des Aufenthalts, die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise nimmt ab.“ In den landeseigenen Lagern dagegen erfahren die Asylsuchenden eine besondere Betreuung: „So können z.B. Personen, die auf Grund der Prognoseaussage des Bundesamtes keine Perspektive für Anerkennung als Asylberechtigte und damit für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland haben sowie Personen, die bereits ein negatives Asylverfahren hinter sich haben und vollziehbar ausreisepflichtig sind, durch die Mitarbeiter der Einrichtung sehr viel wirkungsvoller als bei einer dezentralen Unterbringung zum freiwilligen Verlassen des Landes veranlasst werden“, schreibt das Innenministerium weiter.

Die drei Lager, die das Land führt, sollen auf unterschiedliche Entwicklungen in der Migration reagieren können. Das Innenministerium schreibt deshalb in diesem Zusammenhang von „atmenden Einrichtungen“, die durch ihre verschiedenen Funktionen auch zukünftig die Verteilung von Flüchtlingen auf die Kommunen überflüssig machen sollen. Die beiden Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörden (ZAAB) in Braunschweig und in Oldenburg-Blankenburg dienen als Aufnahmelager für neu angekommene Flüchtlinge, die ihren Asylantrag stellen und nach dem Asylverfahrensgesetz für die ersten sechs Wochen bis maximal drei Monate in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht werden müssen. In die Außenstelle der ZAAB Oldenburg-Blankenburg in Bramsche-Hesepe werden all diejenigen Asylsuchenden untergebracht, denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch vor der endgültigen Prüfung ihres Antrages einen negativen Ausgang ihres Asylverfahrens prognostiziert. Auch Menschen, die „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind, deren Asylantrag also rechtskräftig abgelehnt wurde, können dort eingewiesen werden.

Weiterhin gibt es auf dem Gelände der ZAAB in Oldenburg-Blankenburg und in Braunschweig sog. „Ausreiseeinrichtungen“ mit bis zu 50 Plätzen, wie sie im Aufenthaltsgesetz (§ 61) vorgesehen sind. Hier sollen insbesondere Flüchtlinge, die keine Identitätsnachweise erbringen oder denen eine andere Identität unterstellt wird, so lange drangsaliert werden, bis sie bereit sind, Pässe vorzulegen oder die Behörden ihnen eine Identität samt Pass(ersatz) zugewiesen haben. Die Landesregierung schreibt dazu in ihrer Antwort im Landtag: „Die Festlegung einer Höchstdauer für die Unterbringung in den Ausreiseeinrichtungen wäre höchst kontraproduktiv. Wenn die betroffenen Ausländer absehen könnten, dass der Aufenthalt begrenzt ist, würden sie diese Zeit lediglich „absitzen“, ohne dass sich an ihrer Verweigerungshaltung etwas ändern würde“.

Die Situation in den Lagern ist gekennzeichnet durch Isolation vom Rest der Gesellschaft sowie beengte Wohnverhältnisse ohne jegliche Privatsphäre. Es gibt Kantinenessen und andere Sachleistungen statt Bargeld. Duldungen werden oftmals nur kurzfristig verlängert, und regelmäßige Gespräche mit BehördenmitarbeiterInnen über die vermeintlich geringen Aufenthaltsperspektiven sollen die Menschen zusätzlich unter Druck setzen. Auch mit Arbeitsgelegenheiten wird taktisch umgegangen, um sie als Druckmittel auf die BewohnerInnen des Lagers einzusetzen.

Die Proteste der BewohnerInnen gegen diese Lebensverhältnisse erfuhren z.T. eine große Aufmerksamkeit in der ßffentlichkeit und bei einzelnen LandespolitikerInnen. Die Proteste wurden von einigen Initiativen und AnwohnerInnen vor Ort unterstützt. Auch der Rat der Stadt Oldenburg verabschiedete im November 2006 einstimmig eine Resolution, in der das Land aufgefordert wurde, den Vorwürfen nachzugehen und ihre zentralisierte Unterbringungspolitik zu überdenken.

Die Landesregierung ließ sich jedoch durch diese Proteste und die Kritik nicht bewegen. Vor diesem Hintergrund sah es das Netzwerk Flüchtlingshilfe Niedersachsen als hilfreich an, in Zusammenarbeit mit der LAG der Freien Wohlfahrtspflege und der Stiftung Leben und Umwelt eine öffentliche Anhörung zu organisieren, die den BewohnerInnen der Lager die Möglichkeit gibt, ihre Situation darzustellen und PolitikerInnen und Innenministerium damit konfrontieren. Die Anhörung sollte Bewegung in die Diskussion bringen und die Landesregierung aus ihrer verhärteten Position zur Unterbringungspolitik herausholen, als auch PolitikerInnen aus der Opposition für ein Engagement gegen die Lagerpolitik zu gewinnen. Mit der Wahl des Termins für die Anhörung unmittelbar vor den Niedersächsischen Landtagswahlen verbanden die Veranstalter die Hoffnung, dass die Parteien Niedersachsens und die Landesregierung es im allgemeinen Wahlkampf für wichtig erachten, auf dieser Veranstaltung zu erscheinen und sich zu äußern. Offenbar sahen das sowohl die CDU als auch die Landesregierung bzw. das Innenministerium anders, sie schoben terminliche Engpässe vor, die ihnen eine Teilnahme verhindere. Während das Innenministerium aber immerhin in dem oben erwähnten Schreiben seine Position zur Unterbringung von Flüchtlingen in Niedersachsen dargelegt hat, hielt es die CDU nicht für nötig, ihre Politik zu verteidigen.

Aus Angst vor Repressionen haben es nur wenige Flüchtlinge gewagt, auf der Anhörung öffentlich aufzutreten und ihre Situation vor Publikum zu schildern. Einige Beiträge lagen jedoch schriftlich vor und sind auf der Veranstaltung anonym verlesen worden. Dass die Befürchtungen der Flüchtlinge ihre Berechtigung hatten, wurde durch das Besuchsverbot, das die Lagerleitung in Oldenburg am Tag der Anhörung verhängt hatte, deutlich vor Augen geführt. BewohnerInnen der ZAAB Oldenburg-Blankenburg hatten zuvor zu einem Besuch des Lagers im Anschluss an die Anhörung eingeladen, damit sich das Publikum selbst einen Einruck von den Unterkünften machen könne. Tatsächlich wurde den rund 20 Interessierten, die die Einladung annehmen wollten, durch den Wachdienst der ZAAB mit Unterstützung eines massiven Polizeiaufgebots der Zugang zum Lager ohne Angaben von Gründen verwehrt. Bereits am Tag zuvor war einer kleinen Gruppe von SchülerInnen der Besuch des Geländes durch den Wachdienst verboten worden.

Einige Flüchtlinge berichteten, dass auch schon früher als Reaktion auf die Proteste, wie den Streik und den Kantinenboykott in der ZAAB Oldenburg-Blankenburg und in der Außenstelle Bramsche-Hesepe Ende 2006, die Behörden mit subtilen Mitteln, wie tägliches Vorladen vor die Ausländerbehörde, der Verlängerung der Duldung für nur wenige Tage, die Verlegung von vermeintlichen Rädelsführern in andere Lager, Druck auf die BewohnerInnen ausgeübt hätten.

Die Beiträge der Flüchtlinge, die auf der Anhörung vorgetragen wurden, sind in dieser Dokumentation versammelt. Sie geben einen umfassenden Eindruck über die Lebenssituation der Asylsuchenden in den landeseigenen Lagern. Ergänzt wurden auf der Veranstaltung die Erfahrungsberichte durch Beiträge von Fachleuten, die sich mit der Thematik tiefgehender auseinandergesetzt haben. Hier wurden die juristischen Zusammenhänge erläutert, die Funktion der Lager diskutiert, die besondere Situation von unbegleiteten Minderjährigen in der ZAAB Oldenburg-Blankenburg geschildert sowie die Lagerunterbringung unter Aspekten der Menschenrechte betrachtet. Schließlich sollte den anwesenden VertreterInnen der SPD, FDP, Bündis90/Die Grünen und von Die Linke, nachdem sie mit den Berichten der Flüchtlingen und der Fachleute konfrontiert worden waren, die Gelegenheit gegeben werden, sich zu äußern. Auch diese Stellungnahmen sind in der Dokumentation nachzulesen.

Die Anhörung schloss mit den Forderungen, die BewohnerInnen des Lagers Oldenburg-Blankenburg zur Verbesserung ihrer Lebenssituation aufgestellt haben und mit der Stellungnahme der Veranstalter zur Unterbringungspolitik in Niedersachsen. Als ein konkretes Ergebnis konnte am Tag der Veranstaltung die Vereinbarung über einen parlamentarischen Abend mit der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege mit nach Hause genommen werden. Sicher braucht es jedoch auch darüber hinaus weiterhin politischen Druck, um ßnderungen in der Unterbringungspolitik in Niedersachsen herbeizuführen. Mit dieser Dokumentation sollen daher die Berichte der BewohnerInnen und die Kritik an der Lagerunterbringung festgehalten werden und als Grundlage für eine weitere Auseinandersetzung um die Unterbringungspolitik von Asylsuchenden in Niedersachsen dienen. Letztlich muss der Protest gegen die Lager in Niedersachsen bundesweit eingebunden werden. Denn auch in den anderen Bundesländern gibt es immer wieder Proteste gegen die Lagerunterbringung. Die Lagerexperimente, die unter der SPD-Regierung 1998 in Niedersachsen begonnen wurden, sind schließlich in den anderen Ländern übernommen worden und in der Bundesgesetzgebung mit der Möglichkeit sog. „Ausreiseeinrichtungen“ zu schaffen festgeschrieben worden.

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