Antwort des MI auf Anfrage der SPD zum Fall der Familie Sardi

Eine Anfrage im Nds. Landtag, die Antwort des Innenministers Uwe Schünemann vom 24.02.2012, und was davon zu halten ist:

Die Abgeordneten Dr. Andretta und Schminke hatten gefragt:

Der Landkreis Göttingen ist derzeit bemüht, die Lebenssituation der seit 19 Jahren im Landkreis lebenden und dort gut integrierten Flüchtlingsfamilie Sardi zu verbessern und für die Kinder einen Aufenthaltsstatus zu schaffen, der ihnen eine Erwerbstätigkeit, eine Ausbildung und ein Studium ermöglicht. In der Vergangenheit wurden die Bemühungen der Familie Sardi, bei der zuständigen Ausländerbehörde ein Bleiberecht zu erhalten, durch direkte Interventionen des Innenministeriums verhindert.

Zum Hintergrund: Vor 19 Jahren ist die Familie Sardi aus Algerien nach Deutschland gekommen. Da sie keine Pässe besitzt, ist die Familie nur geduldet. Ihr Asylantrag ist 1996 abgelehnt worden. Die Duldung wurde immer nur für kurze Zeiträume ausgesprochen, eine Arbeits- und Studienerlaubnis für die Kinder wurde nicht erteilt. Der Familie wurde unterstellt, dass sie sich nicht ausreichend um Pässe bemüht. Da ohne Pässe eine Abschiebung nicht möglich ist, wurde nach Angaben der Medien seitens der Landesregierung mehrfach ein rigoroses Einschreiten gegen die Familie gefordert. So sind Anweisungen des Innenministers persönlich und seiner Fachbehörde bekannt geworden, gegen die Sardis mit Wohnungsdurchsuchungen, erhöhter Frequenz von Zwangsvorführungen, weiteren Strafverfahren und bei Zahlungsunfähigkeit mit Ersatzfreiheitsstrafen sowie Arbeits- und Studierverboten vorzugehen.
Nach dem Urteil des Amtsgerichtes Hann. Münden in einem Strafverfahren vom November 2011, in dem festgestellt wird, dass man der Familie Sardi nicht vorwerfen könne, sie kümmere sich nicht ausreichend um die Passbeschaffung, ist der Landkreis nun bereit, Möglichkeiten zu schaffen, dass die Familie Sardi dauerhaft in Deutschland bleiben kann. Die Ausländerbehörde des Landkreises will der Familie Duldung bis Ende März 2013 gewähren, den Kindern eine Arbeits- und Studienerlaubnis erteilen und damit weitere Tatbestände der Integration schaffen, die zu einer Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 in Verbindung mit Artikel 8 EMRK führen können. Das begünstigt zunächst die Kinder; für die Eltern soll der gegenwärtige Status fortgesetzt werden, damit die Familie nicht zerrissen wird.

Der Landkreis begründet sein Vorgehen mit der Feststellung im Urteil des Amtsgerichts, wonach die Möglichkeiten erschöpft sind, fehlende Pässe zu besorgen. Offenbar wird diese Auffassung nicht von der Fachaufsicht im Innenministerium geteilt. In einem Bericht des Göttinger Tageblatts vom 4. Februar 2012 heißt es: „In Hannover, so war aus dem Kreishaus zu hören, sehe man das anders, man werde in den nächsten Tagen entsprechende Vorschläge unterbreiten.“ Weiter heißt es, dass dieser Aussage vom Ministeriumssprecher widersprochen wurde.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Teilt sie die nach der Entscheidung des Amtsgerichts vertretene Auffassung des Landkreises Göttingen, dass die Möglichkeiten der Passbeschaffung erschöpft sind und eine Identitätsfeststellung der Familie nicht mehr erfolgen kann?
  2. Ist sie bereit, die vom Landkreis getroffenen Entscheidungen, der Familie Sardi ein weiteres Jahr Duldung zu gewähren, den Kindern eine Arbeits- bzw. Studienerlaubnis zu erteilen und bei weiteren „Integrationstatbeständen“ in einiger Zeit erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu prüfen, ohne erneutes Einschreiten zu akzeptieren?
  3. Welche konkreten Voraussetzungen müssen allgemein und hier bei den Kindern der Familie Sardi erfüllt sein, damit die Ausländerbehörde einen Aufenthaltstitel nach § 25 a Abs. 5 AufenthG vergeben kann?

Der Minister hatte am 24.2.2012 im Landtag geantwortet:

Zu Frage 29: „Muss der Landkreis Göttingen mit Anweisungen zur Schikane von geduldeten Ausländern und Erlassen zur Abschiebung aus Hannover rechnen?“

Die Eheleute … Sardi … reisten 1992 mit ihren Kindern K. (*1980), A. (*1985) und F. (*1990) in das Bundesgebiet ein und stellten einen Asylantrag, der 1996 rechtskräftig abgelehnt wurde. Die Familie ist seitdem zur Ausreise verpflichtet.
Dieser gesetzlichen Verpflichtung ist sie bis heute jedoch nicht nachgekommen. Die gesetzlich gebotene Durchsetzung der Ausreisepflicht der Familie Sardi … war bislang nicht möglich, da die Familie ihrer gesetzlichen Verpflichtung, Angaben zu Alter, Identität und Staatsangehörigkeit zu machen, nicht nachkommt.

Den Botschaftsvorführungen in den Jahren 1999, 2003, 2008 und 2011 leistete die Familie regelmäßig nur teilweise Folge. Passersatzanträge wurden nur unvollständig ausgefüllt. Ihr Auftreten gegenüber den Botschaftsmitarbeitern war durchgängig von fehlendem Respekt und einer aggressiven Grundhaltung geprägt. Während der letzten Vorführung 2011 kam es des-halb zu einem Eklat. Infolgedessen wurden die Familienangehörigen des Raumes verwiesen. Einzelne Familienmitglieder nahmen an der Vorführung unter Hinweis auf – nicht nachgewie-sene Erkrankungen nicht teil. Bei der Vorführung 2008 weigerte Herr … sich beharrlich, dem Generalkonsulat schriftliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Er gab an, dass er diese Unterlagen nicht „rausrücken“ werde. Weder das Generalkonsulat noch die
Ausländerbehörde würden Unterlagen von ihm erhalten. Damit räumte er indirekt ein, Unterlagen zu besitzen.

Das Amtsgericht Hannoversch Münden hat die Eheleute Sardi … im Jahr 2008 rechtskräftig zu Geldstrafen von je 30 Tagessätzen verurteilt. Es führte aus, dass „die Angeklagten sich in keiner Weise bemühten, Heimreisepapiere von der algerischen Botschaft zu bekommen. Sie weigerten sich beharrlich, sich mit der algerischen Botschaft in Verbindung zu setzen. Bei Vorführungen zu Terminen für algerische Staatsangehörige weigerten sie sich, bei der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken“. Auch das Verhalten des Herrn Sardi bei der Sammelvorführung 2008 wurde erwähnt. Darüber hinaus führte das Gericht aus, dass auch die weiteren Angaben der Angeklagten falsch seien.

In einem weiteren Strafurteil im Jahr 2011 hat das Amtsgericht Hannoversch Münden die Eheleute Sardi … vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz freigesprochen. Es lägen keine Beweise vor, dass die Familie falsche Angaben zu ihrer Identität oder Herkunft gemacht habe. Positive Feststellungen zur Identität der Familie hat das Gericht nicht getroffen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1:

Die Identität der Familie ist weiterhin ungeklärt. Mangels ausreichender Mitwirkung der Familie ist die Ausländerbehörde verpflichtet, sich selbst um die Aufklärung der Identität zu bemühen.
Vor diesem Hintergrund war es erforderlich, die Familie mit den aufenthaltsrechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu der gesetzlich geforderten Mitwirkung anzuhalten. Dazu gehören regelmäßige Vorsprachen in der Ausländerbehörde. Aufgrund der Angaben im Asylverfahren über Schulbesuch und Erwerbstätigkeit im Heimatland kann eine weitergehende Befragung der Eheleute Aufschluss über die Herkunft geben. Bisher waren die Eheleute nicht zu einer Befragung bereit.

Zu Frage 2:
Die vom Landkreis Göttingen getroffenen Entscheidungen werden fachaufsichtlich nicht beanstandet, wenn sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.

Zu Frage 3:
Eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG kann erteilt werden, wenn die Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Eine derartige Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausrei-sehindernisse nicht erfüllt (§ 25 Abs. 5 S. 4 AufenthG).

Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG auf Grundlage des Art. 8 EMRK („Verwurzelung“) kommt entsprechend der Rechtssprechung des Nieders. Oberverwaltungs-gerichts und des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nur bei erfolgreicher Integration auf Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht. Der Besitz einer Duldung ist nicht ausreichend. Die gesetzliche Neuregelung für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende gem. § 25a AufenthG findet im Fall der Familie Sardi … keine Anwendung, da alle Kinder der Familie Sardi … das 21. Lebensjahr bereits vollendet haben. Zu den weiteren Voraussetzungen wird auf die Mündliche Anfrage Nr. 9 der Abgeordneten Frauke Heiligenstadt und Dr. Silke Lesemann (SPD) zu „Darf das Bleiberecht von Zeugniskonferenzen und Kopfnoten abhängig gemacht werden?“ verwiesen.

… und, was davon zu halten ist:

Die Antwort Minister Schünemanns offenbart die ganze Menschenrechtsverachtung seiner Flüchtlingspolitik, aber auch seine Missachtung des Landtages, was dessen wahrheitsgemäße und sachliche Information angeht; er polemisiert gegen Wehrlose.

Minister ignoriert Freispruch vor Gericht

So behauptet Schünemann, die Familie käme „ihrer gesetzlichen Verpflichtung, Angaben zu Alter, Identität und Staatsangehörigkeit zu machen, nicht nach …“ Wahr ist, dass letztlich auf sein Betreiben die Familienangehörigen unter Namen mit Geburtsdatum und -ort vor Gericht zitiert wurden. Wahr ist auch, dass das Amtsgericht Hann. Münden die Sardis am 8.11.2011 von Schünemanns Vorwurf, falsche Personenangaben gemacht zu haben, freigesprochen hat. „Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die seitens der Angeklagten angegebenen Personalien falsch sind. Soweit die Ausländerbehörde insofern die Falschheit der Angaben vermutet, können diese Vermutungen nicht durch entsprechende Beweise bekräftigt werden. Die bisher durchgeführten Sammelvorführungen konnten weder zu einer positiven Identitätsfest-stellung der Angeklagten noch zu einem negativen Ergebnis führen“. Die der Familie – Eltern wie Kindern – zur Last gelegten Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht, nicht ausreichend bei der Klärung ihrer Identität mitgewirkt zu haben, sind vom Gericht als gegenstandslos erkannt worden. Gleichwohl behauptet Schünemann sie weiter. Der Landkreis Göttingen dagegen sieht nach dem Freispruch „die Möglichkeiten erschöpft …, fehlende Heimreisedokumente aufzutreiben.“ (Göttinger Tageblatt, 4.2.2012). Demgegenüber besteht Schünemann auf weiteren Einvernehmungen der Familie.

Algerische Auslandsvertretungen stellen keine Abschiebelizenzen aus.

Schlechterdings verunglimpfend ist, was der Minister zum wiederholten Mal der Familie Sardi als Vergehen bei ihren Zwangsvorführungen in algerischen Konsulaten übel nachredet. Vorauszuschicken ist:

  • Die algerischen Auslandsvertretungen durchschauen, dass Schünemann und die Ausländerbehörde mit der Forderung nach Identitätspapieren Dokumente zur Abschiebung der Familie beschafft haben wollen. Manifest ist, dass die algerischen Behörden, um ihren in Deutschland gut integrierten Landsleuten die Vertreibung zu ersparen, sich weigern, derartige Papiere auszustellen. Denn wenn eine Ausreise „aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich“, und „mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen“ ist, soll Flüchtlingen „die Aufenthaltserlaubnis … erteilt werden, wenn die Abschiebung seit achtzehn Monaten ausgesetzt ist.“ (Aufenthaltsgesetz, § 25.5)
  • Auf die Abschiebe-Absichten hat die algerische Botschaft in Berlin die Kinder F. und K. Sardi im Juni 2010 hingewiesen, als diese dorthin reisten, um Papiere zu beantragen, mit denen F. hoffte, studieren, K. arbeiten zu können: bis zu dem Zeitpunkt war die Familie arglos. In der algerischen Botschaft wurde ihnen von einem Konsularbeamten mitgeteilt,  „… dass der Landkreis Göttingen ganz genau wisse, dass sie uns keine Pässe ausstellen. Wir sagten dem Konsul, der Landkreis habe uns erklärt, dass, wenn wir uns Pässe ausstellen ließen, wir dann arbeiten und studieren dürfen und sogar einen Aufenthalt hier in Deutschland bekämen. Er sagte uns, dass das nicht möglich sei, und dass das, was der Landkreis von uns verlangte, Passersatzpapiere wären, mit denen sie uns abschieben würden.“ (F. Sardi, Gedächtnisprotokoll, 23.6.2010)
  • In Kenntnis des Sachverhalts hat der Landkreis Göttingen daraufhin „den § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention für anwendbar gehalten, wenn die Pass(ersatz)beschaffung weiterhin erfolglos bleibt.“ (lt. Schreiben des MI vom 26.7.2010). Die zuständige Ministerialbeamtin dagegen verwirft – „fachaufsichtlich und beratend“ – diese Lösung per Erlass: Nach „Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichtes“ könne „eine Verwurzelung in die (sic!) hiesigen Lebensverhältnisse bei Ausländern, die sich lediglich geduldet im Bundesgebiet aufhalten, … nicht angenommen werden.“ Was nicht sein darf, das kann nicht sein. Die Verwurzelung der Familie Sardi in DEN hiesigen Lebensverhältnissen ist dagegen vielfach belegt.
  • Damit „liegen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor, so dass“ der Ausländerbehörde des Landkreises „kein Ermessen eröffnet wird.“ (MI, ebd.): Der übertragenen Wirkungskreis verlangt vordemokratisch Kadavergehorsam.

Zwangsvorführungen, Farce vor sprachunkundigem deutschen Beamten …

Vor dem Hintergrund dieses Tatbestands algerischer Weigerung, Abschiebelizenzen auszustellen, verliefen die zahlreichen zu dem Zweck veranstalteten Zwangsvorführungen von Familienangehörigen bei den Konsulaten ergebnislos, allerdings in einer zum Ritual gewordenen Inszenierung ab. Bei den auf Arabisch geführten Gesprächen geht es nach Aussagen der Familienangehörigen gar nicht um ihre Personalien. Man kennt sich, trifft sich wieder. Werden der Familie von der Ausländerbehörde aktenkundig gemachte Verfehlungen unbewiesenen Wahrheitsgehalts vorgehalten, stellen Familienangehörige das in Abrede, verlangen Einsicht in das Schriftstück bzw. den Aktenvermerk und brausen wohl auch mal auf.

… und Stille Post: Direktanweisungen des Ministers …

Dann geht’s in die „Stille Post“: der algerische Konsulatsvertreter berichtet dem Beamten der Landesaufnahmebehörde, der dabei gesessen hat, aber kein Arabisch versteht, was verhandelt worden sein soll, dass es ein Ergebnis nicht gegeben habe, aber das Generalkonsulat noch einmal eine schriftliche Befragung durchführen wolle. Der Beamte schreibt dieses als Mitteilung nieder, gibt sie zu den Akten der Ausländerbehörde des Landkreises, von wo sie an das Innenministerium gelangt. Am Ende serviert der Innenminister dem Niedersächsischen Landtag – z.T. als wörtliches Zitat, als ob er dabei gewesen, „Herr H.“ [der ‚Sardi’ heißt] „weigerte … sich beharrlich, dem Generalkonsul schriftliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Er gab an, dass er diese Unterlagen nicht «rausrücken» werde.“ Daraus schloss Schünemann am 24.2.2012 vor dem Niedersächsischen Landtag erneut, Adda Sardi „räumte … indirekt ein, Unterlagen zu besitzen“. Schon am 8.4.2008 hatte er in einem Schreiben an den damaligen Göttinger Landrat Schermann eine Hausdurchsuchung bei den Sardis anberaumt: „Im Hinblick auf die offensichtliche Unterdrückung von Identitätsnachweisen durch die Familie Sardi/Harti bitte ich zu prüfen, ob beim Amtsgericht ein Antrag auf Durchsuchung der Wohnung gestellt werden sollte.“ (Schünemann 8.4.2008)

Die Antwort Schünemanns belegt einmal mehr, dass der niedersächsische Innenminister vom Verfolgungswillen gegen Flüchtlinge und Asylbewerber getragen menschenunwürdige Maßnahmen gegen sie persönlich anordnet, sie aufgrund von zweifelhaften Informationen bis ins Detail verfügt und sein willkürliches Vorgehen vor dem Landtag auch noch als rechtlich geboten beschönigt. Gegenüber Flüchtlingen tritt er nicht nur als Exekutive auf, er geriert sich auch als Rechtsprechung und fischt geheimdienstartig im Trüben.

… und seiner Chargen zur Verfolgung der Familie

Schünemanns Ministeriale, Frau …, kartet nach. In ihrem Erlass vom 26.7.2010 empfiehlt sie, erneut einen Prozess gegen die Familie anzustrengen: „: „In Ihrem Schreiben [i.e. des Landkreises Göttingen] sind sie leider nicht auf die von mir angeregten Maßnahmen eingegangen. Zwar wurde allen Familienmitgliedern die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit untersagt. […] halte ich auch kürzere Duldungszeiten (zunächst monatlich) für sinnvoll. Auch die Einleitung eines weiteren Strafverfahrens ist sinnvoll. Die Familie erhält zwar tatsächlich nur Tagessätze mit einem geringen Geldbetrag, allerdings ist dieser im Hinblick auf die bereits mehrfach gekürzten Leistungen nur schwierig aufzubringen. Darüber hinaus kommt bei Zahlungsunfähigkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in Betracht. Auch diese könnte einzelne Familienmitglieder beeindrucken.“ (MI, 26.7.2010)

Amtsgericht 2011 ≠ Erfüllungsgehilfe der Ausländerverfolgung

Schünemann bezog sich im Landtag auf zwei Urteile des Amtsgerichts Hann. Münden gegen die kollektiv angeklagte Familie Sardi, nicht ausreichend bei der Beschaffung sog. „Heimreisepapiere“ mitgewirkt zu haben und sich von daher widerrechtlicher im Bundesgebiet aufzuhalten.

In einem ersten Urteil im Jahr 2008 stellte das Amtsgericht Hann. Münden das Verfahren gegen die Kinder ein, verurteilte aber die Eltern zu Geldstrafen (30 Tagessätze à 2 Euro). Ausführlich zitiert Schünemann vor dem Landtag aus der Urteilsbegründung, die z.T. den Wortlaut seines eigenen Briefes vom 8.4.2008 – „sie weigerten sich beharrlich …“ – aufnimmt, aber auch Kolportiertes aus den auf arabisch geführten Gesprächen bei den Zwangsvorführungen in den Konsulaten anführt. Inwieweit ein Erlass der Frau … / MI ebenfalls vom 8.4.2008, auf den sie in einem weiteren Erlass vom 26.7.2010 Bezug nimmt, für Verfahren und Verurteilung ursächlich ist und in die Urteilsbegründung ebenfalls texto Aufnahme findet, lässt sich nur vermuten.

Unabhängiges Gericht → Freispruch

Die Anweisung Frau … / MI vom 26.7.2010 an die Ausländerbehörde des Landkreises Göttingen schlug sich in einer erneuten Anklage der Staatsanwaltschaft vom 20.7.2011 nieder: der gleichen Vergehen wie 2008 wurden die Familie bezichtigt, bloß für den Anschlusszeitraum ab Rechtskraft des damaligen Urteils. Doch in Kenntnis dieses Urteils sprach die Richterin 2011 in gleicher Sache die Familie frei, wie schon vom Staatsanwalt beantragt. Sein unabhängiges Urteil fällte und begründete das Gericht frei von Textbezügen auf ministerielle Schreiben oder Erlasse aus dem Innenministerium. Dieses Urteil von aktuellem Wert nennt der Innenminister gegenüber dem Landtag eher beiläufig, nachrangig gegenüber dem früheren. Über dies Feststellung des Gerichts im November 2011, „Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die seitens der Angeklagten angegebenen Personalien falsch sind.“ setzte Schünemann sich am 24.2.2012 im Landtag mit der Behauptung hinweg, „dass die weiteren Angaben der Angeklagten falsch seien.“

Auch in seiner Beantwortung der Einzelfragen trägt Schünemann dem aktuellen Urteil keinerlei Rechnung. Weiterhin behauptet er, die Familie habe es an „ausreichender Mitwirkung“ zur Aufklärung ihrer Identität fehlen lassen. Nach wie vor unterstellt er ein „Verschulden“, bestehend darin, dass der Ausländer „falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.“ Das Gericht bescheinigte den Sardis am 8.11.2011, eben dieses Zumutbare zur Klärung ihrer Identität geleistet zu haben.

Zum Aufenthaltsrecht der Tochter zum Zwecke des Studiums informiert Schünemann den Landtag ebenfalls falsch. Zwar ist F. inzwischen 21 Jahre alt, ihr rechtzeitig gestellter Antrag auf Studienerlaubnis ist allerdings noch beim Verwaltungsgericht anhängig. Wie Hohn klingt es, wenn das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport in seiner jüngsten, sich selbst ausgestellten menschenrechtlichen und juristischen Unbedenklichkeitsbescheinigung sich rühmt: „Im Zuge der letzten Änderung des Aufenthaltsgesetzes ist auf Initiative des NI mit der Schaffung des § 25 a AufenthG ein eigenständiges, vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleibe-recht für in Deutschland […] aufgewachsene ausländische Jugendliche und Heran-wachsende aufgenommen worden. […] Fachleute aus Politik und Verwaltung sprechen […] von einem Paradigmenwechsel in der Ausländerpolitik.“ (MI, Verantwortungsvolle Flüchtlings- und Asylpolitik in Niedersachsen). Die Antwort des Innenministers im Fall F.s zeigt exemplarisch, wie er die gepriesene Neuregelung zu umgehen sucht.

Die Antwort des Niedersächsischen Innenministers im Landtag am 24.2. offenbart, wie er deklamatorisch, wahrheitswidrig und schönfärbend seine die Grund- und Menschenrechten mit Füßen tretende Flüchtlings- und Asylpolitik verbrämt. Die von ihm und seinem Haus betriebene erbarmungslose Ausländerverfolgung spricht seinen Lippenbekenntnissen und Beteuerungen von Rechtlichkeit Hohn.

gez. Karl-Udo Bigott

Bitte schreiben Sie an dieser Stelle nur allgemeine Kommentare.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...

Schreibe einen Kommentar

Jetzt spenden und unsere Arbeit unterstützen!