Schünemann lenkt ein: Neues Bleiberecht für Flüchtlinge?

Überraschend hat der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann am 16. März ein Konzept für eine neue Bleiberechtsregelung vorgestellt. Noch am 23.02.2012 hatte der Innenminister im Landtag eine von der Opposition geforderte Bundesratsinitiative zum Thema Bleiberecht für „überflüssig“ erklärt (siehe Rede Schünemann vom 23. Februar 2012). Der Sinneswandel des Innenministers ist wohl vor allem auf den Druck der Öffentlichkeit und die Unzufriedenheit des Koalitionspartners FDP wie auch vieler CDU-Abgeordneten zurückzuführen, die in internen Gesprächen heftige Kritik am Kurs des niedersächsischen Innenministers geübt hatten. Aber natürlich ist diese neue Entwicklung sehr erfreulich. Bislang hatten die CDU-geführten (sog. B-) Länder (bis auf Schleswig-Holstein) sowie die Bundesregierung eine neue Bleiberechtsregelung abgelehnt. Weiter gehende Vorschläge und Entwürfe der Opposition (siehe hier) waren gut für die Galerie, hatten aber keine Chance auf Verwirklichung. Nunmehr scheint eine neue Bleiberechtsregelung, mit der  „Integrationsleistungen“ von Flüchtlingen nicht nur gefordert, sondern auch honoriert und anerkannt werden sollen, doch wahrscheinlich zu werden.

Dem neuen Vorschlag zufolge sollen Flüchtlinge, die sich um Arbeit bemüht und Grundkenntnisse der deutschen Sprache erworben haben, nach vierjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet unter einen zweijährigen Abschiebungsstopp fallen und geduldet werden, sofern sie ihre Identität offengelegt und eine Integrationsvereinbarung mit der Ausländerbehörde unterschrieben haben. Gelingt es den Flüchtlingen in diesen zwei Jahren, einen Integrationskurs erfolgreich zu absolvieren, ihre Deutschkenntnisse zu vertiefen (Nachweis B1) und mindestens ein Jahr lang den Lebensunterhalt vollständig zu sichern, soll für ein Jahr eine „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“ erteilt werden. Ist auch nach Abschluss dieses Jahres der Lebensunterhalt weiterhin aus eigener Erwerbstätigkeit gesichert, soll die Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 5 AufenthG verlängert werden (Grafik siehe hier.) Alte über 67 Jahre sollen bleiben dürfen, wenn die Angehörigen sämtliche Kosten für Lebensunterhalt und Krankenversicherung übernehmen.

Mit der Bundesratsinitiative für ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht schließt sich Niedersachsen der Initiative des Landes Schleswig-Holstein an, das am 16.12.2011 einen ähnlichen Gesetzentwurf (siehe BR-Drs. 773/11) für ein Aufenthaltsrecht im Rahmen eines neu zu schaffenden § 25b in den Bundesrat eingebracht hat. Zwar liegt der Wortlaut des niedersächsischen Gesetzentwurfs noch nicht vor, die ausführliche Begründung lässt aber erwarten, dass der Vorschlag Niedersachsens noch ein Stück über den schleswig-holsteinischen Entwurf hinausgeht insofern, als Flüchtlingen nach vierjährigem Aufenthalt unter den oben genannten Bedingungen auch ein Zugang zu Integrationskursen eröffnet werden soll. Damit will das Land dem Vorwurf begegnen, es sei zynisch, Flüchtlingen als Bedingung für ein Aufenthaltsrecht Sprachkompetenzen und Integrationsleistungen abzuverlangen, wenn ihnen die Teilnahme an Sprachkursen und Integrationsmaßnahmen vorher verwehrt war. Ob allerdings die Ermöglichung einer Teilnahme an Integrationskursen ausreichen wird, die Folgeschäden aus den gesetzlichen Restriktionen (Arbeitsverbot bzw. Arbeitseinschränkungen in den ersten vier Jahren des Aufenthalts) zu kompensieren, darf bezweifelt werden. Wer vier Jahre in seinem Beruf nicht arbeiten konnte, wird Schwierigkeiten haben, kurzfristig eine qualifizierte Arbeit zu finden, die den Lebensunterhalt für die gesamte Familie vollständig deckt. Genau dies verlangt aber der niedersächsische Vorschlag. Auch für Kranke, Traumatisierte oder Kriegsverletzte sieht der niedersächsische Entwurf keine Sozialklausel vor, und die Sonderregelung für Alte ist nicht praktikabel, weil vielleicht der Lebensunterhalt, nicht aber das Krankheitsrisiko durch Angehörige privat abgesichert werden kann. Bei aller Kritik im Detail bleibt jedoch festzuhalten, dass das Land Niedersachsen hier eine Kehrtwende vollzogen und eine rollierende, d.h. stichtagsunabhängige Perspektive auf ein Bleiberecht für Flüchtlinge vorgeschlagen hat, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die dennoch in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben und hier verwurzelt sind.

Die Landesregierung leitet mit ihrem Vorstoß auch eine Korrektur des bislang verfolgten Kurses ein, Flüchtlingen Integrationsleistungen erst nach einer Anerkennung bzw. Aufenthaltserlaubniserteilung zuzugestehen, und spricht dabei selbst von einem „Paradigmenwechsel“. Uneingeschränkt begrüßenswert ist das Vorhaben der Landesregierung, neu ankommende Asylsuchende gemeinsam mit jüdischen MigrantInnen und und SpätaussiedlerInnen in die hiesigen Lebensverhältnisse einzuführen und ihnen auch Deutschkurse gemeinsam anzubieten. Zwar sind diese Kurse bislang nur versprochen, und man wird sich ansehen müssen, was in einwöchigen Begrüßungskursen realistisch umgesetzt werden kann. Dennoch ist es ein Anfang. Auch die – mittlerweile von fast allen Bundesländern beschlossene – Ausweitung der Freizügigkeit für Asylsuchende auf das Land Niedersachsen ist ein wichtiger Schritt, wobei dies natürlich nicht ausreicht, da darüber hinaus auch die gesetzlichen Grundlagen für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen ersatzlos gestrichen werden müssen. Zu wünschen wäre, dass die Landesregierung die hier angekündigte Einleitung eines Kurswechsels konsequent fortsetzt und Flüchtlinge systematisch in Integrationsmaßnahmen einbezieht: Sprachunterricht, Profilings und Anpassungsqualifizierungen sowie eine schnellstmögliche Einbindung in den Arbeitsmarkt unter Nutzung der bestehenden Instrumente der Arbeitsmarktförderung nach SGB II und III wären wichtige Schritte, um eine Dequalifizierung der Flüchtlinge zu verhindern und ihre Potenziale zu fördern. Auch die soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung von Flüchtlingen durch Lagerunterbringung und Sachleistungen müsste endlich beendet werden. Stattdessen sollten Flüchtlinge frühzeitig in das gesellschaftliche Leben einbezogen werden und Partizipationschancen erhalten.

Weitere in der Presseerklärung von der Landesregierung getroffene Aussagen zu Härtefallkommission und Abschiebungen sind teilweise falsch und fragwürdig, sollen aber vor dem Hintergrund des vorgestellten Gesetzentwurfs an dieser Stelle nicht kleinlich diskutiert werden. Die auf unserer Homepage immer wieder dokumentierten Fälle von überfallartiger Abschiebung im Morgengrauen (Stichworte Nguyen, Hovhannisyan, Meta, Slawik C.  usw. ) sprechen für sich und zeugen von einem äußerst ruppigen Umgang mit Flüchtlingen in Niedersachsen. Auch bei der verfassungs- und völkerrechtswidrigen Praxis der  Inhaftierung von Flüchtlingen im Rahmen von Abschiebungshaft ist eine Korrektur überfällig. Die Ankündigung der Ermöglichung positiver Ersuchen der Härtefallkommission mit einfacher (statt wie bisher mit 2/3) Mehrheit ist erfreulich, aber in seiner Wirkung begrenzt, da bei sieben bzw. acht für das Zustandekommen eines Ersuchens notwendigen Mitgliedern in jedem Fall mindestens fünf Mitglieder für ein Ersuchen stimmen müssen. Es bleibt abzuwaren, ob der neue Kurs der Landesregierung helfen wird, auch in den Fällen Siala/Salame und Naso endlich zu vertretbaren Ergebnissen zu kommen, die das Leid der Familien beendet und ihnen endlich eine gemeinsame Lebensperspektive in Deutschland einräumt.

gez. Kai Weber

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