Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Niedersachsen

In seiner Rede zur Anfrage der Linksfraktion betreffend die  Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (umF)  in Niedersachsen bezieht Innenminister Uwe Schünemann die allseits bekannte Position: Alles ist gut, entschieden wird nach Recht und Ordnung, und natürlich wird das Kindeswohl immer beachtet.

Schünemann erläutert die Inobhutnahme und in Ansätzen das Clearingverfahren, vergisst aber zu erwähnen, dass es in Niedersachsen keine rechtlich verbindlichen Standards gibt, und dass die Praxis von der Theorie abweicht. Warum wird kein Erlass herausgegeben, der die Inobhutnahme und das Clearingverfahren in Niedersachsen verbindlich regelt und an Kindeswohlkriterien und Standards orientiert ist, wie sie z.B. vom Bundesfachverband für UMF empfohlen werden?

Der zweite Teil seiner Rede zur Altersfestsetzung offenbart die tatsächliche Praxis, die oft sehr wenig mit der Wahrnehmung des Kindeswohls in Einklang zu bringen ist: 50% bis 80% der unbegleiteten Flüchtlinge, die sich als Minderjährige bei den Behörden melden, wird nach der Inobhutnahme zu einer volljährigen Person erklärt mit der Konsequenz, dass Leistungen der Jugendhilfe verweigert werden und eine Unterbringung im Lager erfolgt. Besonders problematisch stellt sich die Verwaltungspraxis  des Jugendamts in Göttingen dar: Von 111 (in den Jahren 2010+2011) als Minderjährig ans Jugendamt übergebenen Flüchtlingen wurden 90 wieder der Landesaufnahmebehörde (LAB) zur Erstaufnahme überstellt.

Das angewandte Verfahren der Altersfestsetzung (v.a. Röntgen der Handwurzeln) als „Feststellung“ zu bezeichnen, wie der Innenminister dies tut, grenzt schon an Ignoranz. Immerhin geben selbst führende Forensiker eine mögliche Abweichung von 1-3 Jahren an. Bereits mehrfach mussten die Behörden gerichtlich zur Inobhutnahme von Jugendlichen verpflichtet werden, die auf fragwürdiger Basis für älter erklärt wurden. Würde die Ungenauigkeit der Messmethoden im Sinne der Betroffenen berücksichtigt werden, könnten sehr viele UMF eine bessere und dem Kindeswohl entsprechende Perspektive erhalten.

gez. Edda Rommel

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