Innenministerium verweigert Annahme des Härtefallantrags im Kirchenasylfall

Das niedersächsische Innenministerium sucht die Konfrontation mit der Kirche: Das Land weigert sich, den Fall der zwei Roma-Frauen, die die Auferstehungsgemeinde in Rotenburg am 24. Juni ins Kirchenasyl aufgenommen hat, in der Härtefallkommission auch nur zu behandeln: Die betroffenen Frauen hätten durch die Flucht ins Kirchenasyl die geplante Abschiebung vereitelt und damit einen formalen Ausschlussgrund erfüllt, der es der Härtefallkommission unmöglich mache, sich in der Sache mit der Angelegenheit zu befassen.

Diese Interpretation erscheint rechtlich fragwürdig wenn nicht falsch: Da der Ausländerbehörde frühzeitig mitgeteilt wurde, dass Kirchenasyl gewährt würde, haben nicht die Betroffenen die Abschiebung verhindert – der Aufenthaltsort war der Ausländerbehörde ja bekannt. Vielmehr hat die Ausländerbehörde aus Rücksicht auf die Kirchen auf die Durchführung der Abschiebung verzichtet. Das Innenministerium hat in Beantwortung einer Kleinen Anfrage am 11.09.2007 selbst mitgeteilt:

„… Kirchliche Räume sind … nicht “rechtsfrei” und der staatliche Zugriff ist dort jederzeit unter denselben rechtlichen Voraussetzungen zulässig wie an jedem anderen Ort. Wenn die Vollzugsbehörden aus Respekt vor dem besonderen Charakter dieser Orte auf die Durchsetzung der gesetzlich gebotenen Zwangsmaßnahmen gegen Personen verzichten, verzichtet der Staat einseitig darauf, zum Zweck der Abschiebung unmittelbaren Zwang gegen Personen in bestimmten kirchlichen Räumen anzuwenden. …“ (siehe hier)

Nicht der Aufenthalt der betroffenen Flüchtlinge in einer Kirche hat insofern den Vollzug der Abschiebung verhindert, sondern der Verzicht der Behörden auf ihre Durchsetzung mit der o.g. Begründung. Mit etwas gutem Willen hätte es das Innenministerium daher in der Hand, die Durchführung des Härtefallverfahrens mit entsprechender Begründung zu ermöglichen. Dass es dies – im Unterschied zu anderen Bundesländern – nicht tut, ist ein Affront nicht nur gegen die Mitglieder der Härtefallkommission, sondern auch gegen die Kirchen. Man darf gespannt sein, wie sich die Konföderation der Evangelischen Kirchen Niedersachsens dazu verhalten wird.

Nachfolgend die Presseerklärung der Unterstützer/innen des Kirchenasyls in Rotenburg:

Presseinformation zum Kirchenasyl in der Auferstehungsgemeinde in Rotenburg

05.07.2010

Seit 21.04.2010 gewährt die Auferstehungsgemeinde in Rotenburg in ihrem Kirchenraum zwei Frauen Kirchenasyl. Sie stammen aus dem Kosovo, gehören zur diskriminierten Volksgruppe der Roma und leben seit 19 Jahren in Deutschland. Mutter (70) und Tochter (49) haben bisher ein bewegendes und schweres Leben gehabt und sind beide chronisch krank. Zu ihnen gehört ein 22-jähriger Sohn, der in Rotenburg eine Ausbildung macht und darum ein eigenes Bleiberecht erworben hat. Der Landkreis Rotenburg hat der Mutter und Großmutter die Abschiebung nach Serbien angedroht. Die Rechtsmittel sind vorläufig ausgeschöpft.

Die UnterstützerInnen dieses Kirchenasyls halten die angedrohte Maßnahme für ungerecht und unter humanitären Gesichtspunkten für nicht vertretbar. Ausschlaggebend für diese Einschätzung sind der Gesundheitszustand und das Alter der Betroffenen, die Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland, ihre Verwurzelung hier mit der guten Integrationsperspektive für den Sohn und die schlimme Situation, die sie nach einer Abschiebung erwartet. In Serbien haben sie nie gelebt. Dort haben sie keine Kontakte, keine staatliche Unterstützung und keinerlei Hoffnung auf die notwendige Gesundheitsfürsorge. Auch im Kosovo gibt es nach übereinstimmender Meinung fast aller Sachkundigen keine zumutbare Lebensperspektive für abgeschobene Roma-Flüchtlinge. Das bestätigt z.B. der Menschrechtskommissar der europäischen Kommission Thomas Hammersberg sehr eindeutig.

Großmutter, Mutter und Sohn sind die einzigen Angehörigen in dieser kleinen Familie. Da die beiden Frauen weder in Serbien noch im Kosovo allein überleben könnten, wäre der Sohn schon aus innerer Verbundenheit und großem Verantwortungsgefühl gezwungen, mit der Mutter und der Großmutter Deutschland zu verlassen. Die Frauen zu vertreiben, heißt auch die Zukunft des Jungen zu gefährden und seine Integration zu zerstören. In Serbien oder im Kosovo aber hat der Sohn, der als Kleinkind nach Deutschland kam und die Landessprachen dort nicht spricht, keine wirkliche Perspektive.

Alle diese Zusammenhänge und Gründe wurden in einem Antrag an die Härtefallkommission des Landes Niedersachsen im Detail dargestellt. Zur Antragstellung wurden die UnterstützerInnen durch Vertreter des Landkreises Rotenburg nach Rücksprache mit dem Innenministerium in Hannover ausdrücklich ermutigt. Wer sich mit der Situation eingehend beschäftigt, bestätigt auch unmittelbar, dass es sich um einen Fall handelt, der inhaltlich dem Prüfauftrag der Härtefallkommission genau entspricht. Allerdings ist auch nach über zehn Wochen Kirchenasyl noch immer strittig, dass der Antrag der Kommission überhaupt zur Prüfung vorgelegt werden kann.

Die Vorsitzende der Härtefallkommission, Frau Dr. Tina-Angela Lindner hat gegenüber dem Kirchenkreis dargelegt, dass eine Behandlung in der Härtefallkommission nicht möglich sei, weil der Landkreis Rotenburg bereits einen Abschiebetermin festgelegt habe und der durch das Kirchenasyl lediglich vereitelt wurde. Der seinerzeit für 27.4. geplante Abschiebeflug nach Belgrad sei von Seiten des Landkreises lediglich storniert, nicht aber aufgehoben worden. Damit sei ein formaler Ausschlussgrund für eine Behandlung in der Kommission gegeben.

Landrat Hermann Luttmann seinerseits bedauert gegenüber dem Kirchenkreis, dass der Antrag nicht zur Prüfung angenommen werden kann. Er habe der Vorsitzenden Frau Dr. Lindner dargelegt, dass er die Durchführung des Härtefallverfahrens ausdrücklich unterstützt und sogar Erfolgsaussichten für die beiden Frauen sehen würde. Allerdings bestätigt auch er, dass die Abschiebung durch die Landkreisbehörden lediglich storniert, nicht mit Rücksicht auf das Härtefallverfahren aufgehoben sei.

Der große Kreis der UnterstützerInnen, zu dem neben vielen Mitgliedern der Kirchengemeinden in Rotenburg besonders auch der Ökumenische Arbeitskreis Asyl gehört, ist in großer Sorge über den Gesundheitszustand der betroffenen Frauen. Es sei jeden Tag deutlicher zu sehen, wie die anhaltende Unsicherheit und Perspektivlosigkeit an den Nerven zehrt. Mehrfach schon war ärztliche Hilfe notwendig, die dankenswerter Weise durch engagierte Hausärzte kostenfrei geleistet würde. Das formale Hin und Her zwischen der Vorsitzenden der Härtefallkommission und den Verantwortlichen des Landkreises empfinden alle, die den Betroffenen täglich begegnen, als völlig unangemessen. Beide Seiten behaupten zwar, dass sie an einer inhaltlichen Klärung der Situation interessiert seien, verweigern aber die dafür notwendigen formalen Schritte.

Die Vertreter des Kirchenkreises und der Kirchengemeinde legen großen Wert auf die Feststellung, dass die Gewährung des Kirchenasyls das staatliche Handeln nicht vereitelt hat. Die Gleichsetzung mit dem Untertauchen von Flüchtlingen aus Angst vor einer Abschiebung, die Frau Dr. Lindner vornimmt, ist sachlich falsch. Den staatlichen Behörden war der Aufenthalt der betroffenen Flüchtlingsfrauen zu jeder Zeit bekannt. Kirchenasyl hat mit Widerstand gegen die Staatsgewalt nichts zu tun, sondern ist ein moralisches Instrument. Es hat zum Ziel, die Behörden und verantwortlichen politischen Gremien zum Innehalten und erneuten Überdenken ihrer Praxis und deren Konsequenzen zu bewegen.

Die Auferstehungskirchengemeinde und der Kirchenkreis sind dankbar, dass der Landkreis das Kirchenasyl respektiert und damit tatsächlich Raum schafft, die vorgesehene Maßnahme zu überdenken. Allerdings ist das eine eigenständige Entscheidung, die in der Werthaltung der Verantwortungsträger wurzelt und nicht durch die Kirchengemeinde erzwungen werden konnte. Es ist darum nur konsequent, dass der Landkreis nun auch tatsächlich formal eine erneute Duldung für die beiden Flüchtlingsfrauen ausspricht, damit der Härtefallantrag in der Kommission auch zügig behandelt werden kann.

Die Kirchengemeinde, der Ökumenische Arbeitskreis Asyl und der stetig wachsende Kreis der UnterstützerInnen für die Flüchtlinge halten jedenfalls an ihren Forderungen fest:

– Ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für die Flüchtlingsfrauen, das ihnen und dem Sohn eine menschenwürdige Perspektive erhält.

– Eine grundsätzlichen Beendigung der Abschiebungen von Flüchtlingen, die zu der im Kosovo nach wie vor bedrohten Minderheit der Roma und Ashkali gehören, und denen gegenüber Deutschland aufgrund der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus bis heute eine besondere Verantwortung hat.

Hartmut Ladwig, Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Auferstehungsgemeinde
Elisabeth Isermann, Ökumenischer Abeitskreis Asyl, Rotenburg
Eckhard Lang, Flüchtlingsberater im Diakonischen Werk
Hans-Peter Daub, Superintendent
Pastor Johannes Drömann, stellvertretender Vorsitzender des Kirchenkreisvorstandes Rotenburg

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