Bleiberecht: Kritik der Vorschläge von Innenminister Schünemann

Die im Artikel der HAZ vom 13.10.2009 angesprochenen Vorschläge von Innenminister Uwe Schünemann für eine ßnderung der Bleiberechtsregelung liegen uns nunmehr auch in schriftlicher Form vor (s. Schreiben von Schünemann an die Innenminister). Der Vorschlag kommt überraschend und verdient eine differenzierte Kritik:

1) Unabhängiges Aufenthaltsrecht für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende

Schünemann greift hier einen Vorschlag erneut auf, den er bereits im Jahr 2007 gemacht hat: In Anlehnung an die sogenannte „Wiederkehroption“, die jugendlichen Migranten/innen eine Rückkehr nach Deutschland ermöglicht, wenn sie (oft gegen ihren Willen) nach jahrelangem legalem Aufenthalt und Schulbesuch in Deutschland die Bundesrepublik verlassen haben, sollen geduldete Flüchtlinge zwischen 15 und 20 Jahren ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten, wenn

  • ein gewöhnlicher Aufenthalt von acht Jahren in Deutschland vorliegt,
  • ein erfolgreicher Schulbesuch von sechs Jahren Dauer oder ein Schulabschluss nachgewiesen wird,
  • eine günstige Sozialprognose abgegeben werden kann.

Gegenwärtig würde eine solche Regelung kaum einen weiteren jugendlichen Flüchtling begünstigen, weil der hier gemnannte Personenkreis bereits unter die jetzige Bleiberechtsregelung fällt (Stichdatum 01.07.2001 für Familien). Nicht uninteressant ist der Vorschlag, der eine gesetzliche ßnderung erforderlich machte und insofern von der Innenministerkonferenz gar nicht beschlossen werden könnte, aber gleichwohl im Hinblick auf die intendierte Begünstigung neuer Generationen von Geduldeten: Er beinhaltet kein Stichdatum und ist konzipiert als rollierende Regelung, die die sehr vorsichtige ßffnung des § 18a AufenthG für Geduldete unter dem Aspekt der „Nutzung von Ressourcen“ weiter vorantreiben würde.

Kritikwürdig an dem Vorschlag ist vor allem die vorgeschriebene lange Aufenthaltsdauer von acht Jahren sowie das Fehlen einer aufenthaltsrechtlichen Regelung für die Eltern: Der Innenminister weist darauf hin, dass die Eltern minderjähriger Kinder – anders als in der verunglückten Regelung des § 104b AufenthG – ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht, zumindest aber eine Duldung geltend machen können. Bei 15-jährigen Kindern wird man u.U. eine Aufenthaltserlaubnis an die Eltern erreichen können, bei 17-jährigen Kindern ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Eltern eher nicht zu erwarten. Sobald die Kinder volljährig sind, steht das Aufenthaltsrecht oder die Duldung der Eltern erneut zur Disposition. Ein Aufenthaltsrecht der Eltern ergibt sich insofern gerade nicht „aus der Anwendung der bestehenden allgemeinen Regeln des Aufenthaltsrechts“, sondern müsste gesetzlich verankert werden.

2) Folgeregelung zu § 104 a Abs. 5 AufenthG

Der niedersächsische Innenminister will eine Verlängerung der gesetzlichen Bleiberechtsregelung für nur ein Jahr und nur für einen Personenkreis akzeptieren, der berechtigte Aussicht hat, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit eigenständig zu sichern, und in der Vergangenheit, wenn auch erfolglos, um Arbeit bemüht hat. Dieser Vorschlag bleibt hinter den bisherigen Vorschlägen – etwa aus Berlin oder NRW – und weit hinter den Forderungen von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Menschenrechtsorganisationen zurück und bedarf der Kritik:

  • Es fehlt weiterhin eine Sozialklausel: Der an Krebs erkrankte Flüchtling, der hier jahrelang gearbeitet hat und nun aufgrund seiner Erkrankung seine Arbeit nicht mehr ausüben kann, wird ohne Erbarmen ausgeschlossen. Wenn Eltern und Kinder ein Bleiberecht erhalten, bezieht sich dieses Bleiberecht nicht auf die kranke Großmutter, die ggfs. allein abgeschoben wird. Auch traumatisierte Flüchtlinge haben keine Chance, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht decken können.
  • Offenkundige Absurditäten der bisherigen Bleiberechtsregelung, die vom Gesetzgeber wahrscheinlich nicht intendiert waren, werden fortgeschrieben: Es erscheint beispielsweise vollkommen unsinnig, Flüchtlinge auszuschließen, die zeitweise mit einem/r Deutschen verheiratet waren und insofern nicht ununterbrochen geduldet wurden, was der Gesetzgeber vorschreibt. Entscheidend ist die Dauer des Aufenthalts, nicht der Aufenthaltszweck („humanitäre Gründe“).
  • Jahrelang wurden diese Menschen vom Arbeitsmarkt praktisch ausgesperrt und hatten keine Möglichkeit, sich beruflich zu qualifizieren. Wenn sie aufgrund der gegenwärtigen Krise jetzt keine Arbeit finden, darf man ihnen dies nicht anlasten. Entscheidend ist, dass die Flüchtlinge die Bereitschaft haben, sich um Ausbildung und Arbeit zu bemühen. Wer dies tut, muss ein Bleiberecht erhalten, unabhängig davon, ob eine Beschäftigung oder ein ergänzender Bezug öffentlicher Leistungen vorliegt. Die Bemühungen um einer Arbeitsmarktintegration von Geduldeten und bleibeberechtigten Flüchtlingen im Rahmen eines über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bundesweit geförderten ESF-Programms mit 43 Netzwerken darf nicht durch den Entzug von Aufenthaltserlaubnissen und die Einleitung von Abschiebungen konterkariert werden.
  • Zu fordern ist vor diesem Hintergrund eine rollierende Regelung nicht nur für Jugendliche: Flüchtlinge, die seit fünf Jahren (Alleinstehende) bzw. seit drei Jahren (Familien) in Deutschland leben, sollten ein Bleiberecht erhalten. Unbegleitete Minderjährige sollten nach zwei Jahren hier bleiben dürfen, Traumatisierte und Opfer rassistischer Angriffe ohne Mindestaufenthaltsdauer ein Bleiberecht erhalten.

gez. Kai Weber

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