Familiennachzug zu anerkannten syrischen Geflüchteten: Beschleunigte Verfahren durch IOM-Programm helfen in der Praxis nur den wenigsten

Der Nachzugsanspruch für Angehörige von Geflüchteten besteht ab dem Moment der Anerkennung eines Flüchtlings in Deutschland. Seit diesem Sommer betreibt das Auswärtige Amt zusammen mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Istanbul, Gaziantep, und Beirut Familienunterstützungszentren; im Dezember 2016 soll ein weiteres Zentrum in Erbil im Nordirak eröffnet werden. Ziel ist die Unterstützung von Angehörigen syrischer Flüchtlinge bei der Beantragung des Familiennachzugs. Dank gut vorbereiteter Anträge sollen die Visaverfahren beschleunigt und Menschen davon abgehalten werden, ‚unsichere und irreguläre Wege zu nehmen, um zum anerkannten Flüchtling oder Asylberechtigten in Deutschland nachzuziehen.‘ Allerdings sind die beschleunigten Verfahren in der Praxis nur für sehr wenige syrische Flüchtlinge zugänglich.

Das Angebot der IOM

Am umfassendsten werden Antragsteller:innen in Beirut unterstützt. Dort prüft die IOM Anträge auf Vollständigkeit und leitet sie dann mitsamt der biometrischen Daten der Antragsteller:innen direkt an die Botschaft weiter. Antragsteller:innen brauchen also nicht mehr ihren Termin mit der Botschaft abzuwarten, auch wenn sie diesen für die Inanspruchnahme des Angebots der IOM zunächst vorweisen müssen.
In Istanbul und Gaziantep werden Anträge und Unterlagen lediglich auf Vollständigkeit überprüft, müssen aber von den Antragsteller:innen selbst bei der Botschaft eingereicht werden. Wenn sie bereits eine iDATA-Terminnummer haben, bekommen sie nach erfolgter Vollständigkeitsprüfung durch die IOM oft erheblich schneller einen konkreten Termin bei der Botschaft als sonst.

Behörden beharren auf ‚vollständigen Unterlagen‘

Was in den Broschüren der IOM unter der Bezeichnung ‚vollständige Unterlagen‘ zusammengefasst ist, führen die Merkblätter zum Familiennachzug der deutschen Auslandsvertretungen im Einzelnen auf. Für jede Person sind an die zehn oder mehr Dokumente zwingend vorzulegen, entweder im Original oder als beglaubigte Kopie. Für Dokumente in arabischer Sprache ist zusätzlich eine von einem/r vereidigten Dolmetscher_in angefertigte Übersetzung ins Deutsche einzureichen.
Angesichts dieser Anforderungen verwundert es nicht, dass sehr viele Verfahren wegen unvollständiger Dokumente nicht abgeschlossen werden können. Die Bundesregierung hätte durchaus die Möglichkeit, im Hinblick auf die enormen Schwierigkeiten und Kosten, die mit der Beschaffung beispielsweise von Pässen bei den Behörden des Assad-Regimes verbunden sind, Ausnahmen von der Passpflicht zuzulassen. Abgesehen von sehr seltenen Ausnahmen lehnt sie es jedoch ab, den Familiennachzug auf diese Weise zu erleichtern.

Visumspflicht für Einreise in die Anrainerstaaten Syriens

Eine weitere Hürde ist die Visumspflicht für Syrer:innen zur Einreise in die Türkei und in den Libanon. Insbesondere seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals tut sich die Türkei schwer mit der Vergabe von Visa. Der Libanon vergibt zwar relativ unkompliziert 48-Stunden-Visa zur Wahrnehmung von Botschaftsterminen; nur gelten die IOM-Zentren nicht als Botschaft. Zudem bearbeitet die IOM in Beirut ausschliesslich Anträge von Syrer:innen, die bereits im Libanon leben und bereits einen Termin bei der deutschen Botschaft bekommen haben. Damit sind die meisten all jener Syrer:innen mit Anspruch auf Familiennachzug, die sich als ‚Binnenvertriebene‘ noch selbst in Syrien befinden, faktisch vom Angebot der IOM ausgeschlossen.
Das Auswärtige Amt hat die Türkei und Jordanien um Einreiseerleichterungen für Syrer:innen gebeten. Beide Länder würden diese auch gewähren, wenn Deutschland im Gegenzug eine Nachzugsgarantie für die betroffenen Flüchtlinge abgeben würde. Dies lehnt die Bundesregierung jedoch ab. Stattdessen verweist das Auswärtige Amt auf die Möglichkeit, doch einen Termin in Beirut zu beantragen.

Lange Wartezeiten bei der Terminvergabe

Die Bearbeitungszeit für vollständig eingereichte Anträge ist seit Eröffnung der IOM-Zentren merklich kürzer geworden. In manchen Fällen ist sie von 2-4 Monaten auf nur 10 Tage gesunken. Das bedeutet, dass es durchaus Kapazitäten für die Bearbeitung von Anträgen gibt. Dies geht jedoch zu Lasten der Beantwortung von Terminanfragen, da das Botschaftspersonal bislang kaum aufgestockt worden ist.

In Beirut ist die Wartezeit für die Vergabe eines Termins seither von 3-5 auf inzwischen 8-9 Monate angestiegen, mit dem Termin als solchem ist erst nach etwa 15 Monaten Wartezeit zu rechnen. In Erbil beträgt die rechnerische Wartezeit pro Antrag gar zwei Jahre.

Fazit: IOM-Zentren helfen tatsächlich nur den wenigsten

Unter den jetzigen Bedingungen kommen die durch die IOM beschleunigten Verfahren nur sehr wenigen Syrer:innen tatsächlich zugute: denen, die das Glück hatten, früh genug in den Libanon oder in die Türkei zu gelangen und vorher noch alle notwendigen Unterlagen besorgen zu können, oder die über Mittel und Wege verfügen, diese nachträglich zu beschaffen.
Rechnet man alle Wartezeiten für Terminvergaben und Einreisevisa für die Anrainerstaaten Syriens zusammen, ergibt sich auch im günstigsten Fall eine Wartezeit von kaum weniger als einem Jahr, öfter eher zwei Jahren. Hinzu kommen nochmals mehrere Monate für die anschliessende Bearbeitung der Visaanträge selbst. Rechnet man noch die Zeit für den Erhalt eines gültigen syrischen Passes dazu, kommt schnell ein weiteres Jahr hinzu. Beim Nachzug zu syrischen Geflüchteten mit lediglich subsidiärem Schutzstatus ist  seit Verabschiedung des Asylpakets 2 ausserdem die Aussetzung der Nachzugsmöglichkeit bis Mitte März 2018 zu beachten. Bis eine Familie also tatsächlich in Deutschland zusammenkommt, können im schlimmsten Fall fünf oder mehr Jahre vergehen.

Eine Nachzugsgarantie für nachzugsberechtigte Syrer:innen gegenüber der Türkei, die Erleichterung des Zugangs zu den IOM-Zentren selbst, Aufstockungen des Botschaftspersonals, Ausnahmeregelungen hinsichtlich der Dokumente syrischer Geflüchteter – all dies könnte einer sehr viel größeren Gruppe von Geflüchteten mit Nachzugsanspruch helfen, wird aber von der Bundesregierung abgelehnt. Mithin bleibt der Familiennachzug für die allermeisten genau so beschwerlich und langwierig, wie er es jetzt schon ist.

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