Nachrichten aus dem sicheren Herkunftsland Türkei

In der Türkei sind etwa 10.000 weitere Beamte, Soldaten und Polizisten als Reaktion auf den Putschversuch entlassen worden. In einem offiziellen Notstandsdekret hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zudem die Schließung von 500 Instituten, Vereinen, Stiftungen und Wohltätigkeitseinrichtungen angeordnet. Auch gegen Medien geht die Regierung mit dem Dekret weiter vor. Nach Angaben der Generalsekretärin des türkischen Journalistenverbands, Sibel Günes, wurden seit dem Umsturzversuch rund 170 Medienorganisationen geschlossen und 105 Journalisten festgenommen. Zudem hätten die Behörden über 600 Journalisten die Akkreditierung entzogen. Tausende weitere seien arbeitslos.
Seit dem Putschversuch vom 15.07.2016 sind bislang mehr als 110.000 Staatsbedienstete entlassen worden, mehrere Tausend wurden festgenommen: Die türkische Regierung ordnete u.a. die Festnahme von 103 Akademiker:innen  der Technischen Universität Yıldız in Istanbul an. Nach Angaben von Staatsmedien sitzen mehr als 36.000 Verdächtige in Untersuchungshaft. In Diyarbakir wurde die Stadtverwaltung total ausgewechselt. Die Mitarbeiter:innen haben Arbeitsstelle und Beamtenstatus verloren. Sozialdemokratischen Abgeordneten des EU Parlaments aus fünf verschiedenen Ländern wurden daran gehindert, sich dem Gefängnis in Edirne zu nähern. In Mardin wurden vorgestern der Bürgermeister Ahmet Türk, die Co Bürgermeisterin und weiter 30 Personen festgenommen, die Verwaltung wird zurzeit durch Polizei und Militär „gesäubert“. Gestern wurden weitere 420 Mitarbeiter der Stadtverwaltung entlassen, weitere Verhaftungen fanden statt. Dessen ungeachtet hält die Bundesregierung bis heute daran fest, die Türkei sei ein „sicherer Herkunftsstaat“.

Die Verfolgung von Andersdenkenden in der Türkei lässt auch die Zahl der Flüchtlinge aus der Türkei  in Deutschland wieder steigen. Von Januar bis Oktober stellten laut BAMF 4.437 Türken einen Antrag in Deutschland. Im Jahr zuvor waren es nur 1.767 Personen. Das SPD-geführte Außenministerium verwies ausdrücklich darauf, dass politisch Verfolgte in Deutschland Asyl beantragen könnten. Auf die Frage nach der Aufnahme verfolgter Politiker:innen, Journalist:innen oder Künstler:innen wies der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth auf das Grundrecht auf Asyl hin: „Deutschland ist ein weltoffenes Land und steht allen politisch Verfolgten im Grundsatz offen. Sie können in Deutschland Asyl beantragen. Das gilt dezidiert nicht nur für Journalisten. Dafür gibt es unser Recht auf Asyl.“ Dieses sicherlich positive Signal muss ergänzt werden durch Reiseerlaubnisse für Oppositionelle. Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die Bundesregierung auf, bei der Visavergabe an verfolgte türkische Journalisten keine vermeidbaren bürokratischen Hürden zu errichten. „Es kann nicht sein, dass türkische Journalisten ungewollt in ein Asylverfahren getrieben werden, weil deutsche Behörden ihnen als einzige Alternative die Rückreise in ihre Heimat und damit direkt in die Arme einer Willkürjustiz lassen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Bei der Visavergabe ist dringend mehr Flexibilität nötig, um den Bedürfnissen politisch verfolgter Journalisten gerecht zu werden. Hier könnten Deutschlands diplomatische Vertretungen deutlich mehr tun.“

Die Bundesregierung könnte noch viel mehr tun: Trotz aller Berichte über Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei ist sie bislang nicht von ihrer wahnwitzigen Einschätzung zurückgetreten, die Türkei sei ein sicheres Herkunftsland und ein sicherer Drittstaat für Geflüchtete. Nichts drückt die Verlogenheit der Debatte um Menschenrechte und Flüchtlingsfragen deutlicher aus als das von durchsichtigen Interessen geleitete Festhalten der Bundesregierung an dieser Feststellung. Nachfolgend dokumentieren wir die Antworten der Bundesregierung auf die Fragen der Bundestagsfraktion „die Linke“, deren permanenten Nachfragen wir es zu verdanken haben, dass der bigotte Umgang der Bundesregierung mit Menschenrechtern nicht in Vergessenheit gerät.

Kai Weber

 

Frage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke): „Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Aussagen des UNHCR-Direktors Vincent Cochetal (https://euobserver.com/migration/135279), dass im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens in die Türkei zurückverbrachte syrische Flüchtlinge dort keinerlei temporären Schutz erhalten hätten und dem UNHCR seit dem Putschversuch der Zugang zu Unterbringungen von Flüchtlingen in der Türkei verwehrt worden sei, insbesondere hinsichtlich der menschenrechtlichen Verantwortung für die zurückverbrachten Flüchtlinge und angesichts der beim EU-Türkei-Abkommen abgegebenen Zusicherungen, und inwiefern kann die Türkei vor diesem Hintergrund und angesichts der massiven Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien nach dem gescheiterten Putschversuch nach Auffassung der Bundesregierung (noch) als sicherer Drittstaat angesehen werden (bitte begründen)?

Antwort der Bundesregierung vom 22.11.2016: In der EU-Türkei-Erklärung vom 18.3.2016 ist festgehalten, dass in die Türkei zurückgeführte Migratnen nach den einschlägigen internationalen Standards und in Bezug auf den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung geschützt werden.
Der Bundesregierung liegen keine Hinweise vor, welche die in der Fragestellung zitierte Aussage des UNHCR-Europa-Direktors Cochetel bestätigen. Konsequenzen des gescheiterten Putschversuchs spezifisch für die Lage von Flüchtlingen und Migranten in der Türkei sind der Bundesregierung nicht bekannt. Bezüglich der Haltung der Bundesregierung zur möglichen Einstufung der Türkei als sicherer Drittstaat wird auf die Antwort der Bundesregierung vom 29.08.2016 (BT-Drs. 18/9506) auf die Frage 15a bis 15f und 15h der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE verwiesen.  Schriftliche Fragen für den Monat November 2016. Frage Nummer 11-107

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Frage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke): „Inwieweit hält die Bundesregierung ihre noch im Juli 2016 und ausdrücklich im Widerspruch zum Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung Peter Altmaier geäußerte Auffassung, die Türkei könne als sicherer Herkunftsstaat angesehen werden (Bundestagsdrucksache 18/9128, Frage 14, Seite 10), vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse zumindest im Rückblick für verfehlt, und inwieweit begründet diese nach Ansicht der Fragestellerin bereits damals offenkundig falsche Einschätzung der Lage in der Türkei durch die Bundesregierung generelle Zweifel an der Verlässlichkeit solcher Einschätzungen bezüglich der vermeintlichen Sicherheit von Herkunftsstaaten (bitte ausführlich begründen)?

Antwort der Bundesregierung: Steht noch aus…

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Frage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke):“Inwiefern hält die Bundesregierung an ihrer im Mai in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/8542 zu Frage 24 erklärten Überzeugung fest, dass die Türkei als sicherer Herkunftsstaat zu behandeln sei, nachdem der für die Koordinierung der Flüchtlingspolitik zuständige Chef des Bundeskanzleramtes Peter Altmaier am 21. Juni 2016 auf dem 16. Flüchtlingssymposium der Evangelischen Akademie zu Berlin dies nach Angaben von Teilnehmenden empört von sich wies und dazu erklärte, die Bundesregierung sehe die Türkei nicht als sicheres Herkunftsland an und sei sich darin auch bei einem Gespräch mit Amnesty International im Bundeskanzleramt einig gewesen (vgl. auch epd vom 21. Juni 2016; bitte begründen), und inwieweit wird sich die Bundesregierung vor diesem Hintergrund und angesichts der aktuellen Entwicklung in der Türkei auf der EU-Ebene für oder gegen den Vorschlag der EU-Kommission einsetzen, die Türkei als sicheren Herkunftsstaat einzustufen (bitte begründen)?

Antwort der Bundesregierung vom 08.07.2016: „Die Bundesregierung hat die Frage nach der Einstufung der Türkei als sicheren Herkunftsstaat bereits mehrfach in der Vergangenheit beantwortet. An dieser Haltung hat sich nichts geändert.“Bundestags-Drucksache 18/9128

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Pressemitteilung der Bundesregierung vom 01.06.2016: „Die Bundesregierung sieht das EU-Türkei-Abkommen im Einklang mit dem EU-Recht und dem internationalen Verpflichtungen zum Flüchtlingsschutz. „Die EU-Türkei-Erklärung stellt ausdrücklich fest, dass bei der Umsetzung das EU-Recht und das Völkerrecht uneingeschränkt gewahrt werden“, heißt es in einer Antwort (18/8542) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/8205).“

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Frage: Ist die Bundesregierung weiterhin der Überzeugung, dass die Türkei als sicherer Herkunftsstaat zu behandeln ist, wie in der Antwort zu Frage 11d auf Bundestagsdrucksache 18/7594 erklärt? Antwort der Bundesregierung: Ja.

Bundestags-Drucksache 18/8542 vom 24.05.2016

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Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken vom 17.02.2016: „Die Bundesregierung spricht sich für eine zügige Verabschiedung der gemeinsamen EU-Liste mit sicheren Herkunftsstaaten auf der Grundlage des Vorschlags der Europäischen Kommission vom 9. September 2015 aus. Dieser Vorschlag der Europäischen Kommission umfasst auch die Türkei.“

Bundestags-Drucksache 18/7594 vom 17.02.2016

 

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