Westbalkanstaaten – sichere Herkunftsstaaten ?

Der Bundestag hat im Eiltempo die Einstufung Mazedoniens, Serbien und Bosniens als sichere Herkunftsstaaten beschlossen, siehe hier. Jetzt ist der Bundesrat gefragt.

Der bekannte Verfassungs- und Europarechtler Dr. Reinhard Marx hat am 2. Juli 2014 eine Stellungnahme zur unions- und verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Gesetzesänderung vorgetragen:

Einstufung der Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten im Lichte des Unions- und Verfassungsrechts

Auch das Gutachten von Dr. Karin Waringo zur faktischen Menschenrechtssituation in Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina spricht für sich.

Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl schreibt hierzu in ihrer gestrigen Presseerklärung (9. Juli):

„Wir verfolgen die Bemühungen der Bundesregierung, über die Landesregierungen die Grünen unter Druck zu setzen, um diesem Gesetz eine Mehrheit im Bundesrat zu verschaffen, mit Sorge. Wir möchten unsere Bedenken kurz stichwortartig aufzählen.

  • In Sachsen, Thüringen und Brandenburg finden wieder rassistische Wahlkämpfe auf dem Rücken von Flüchtlingen statt. Flüchtlinge und Flüchtlingsinitiativen werden immer öfter Ziel von Anfeindungen und Angriffen. Wir haben die große Sorge, dass die Grünen als Kronzeugen für die Mär vom „Asylmissbrauch“ missbraucht werden würden, sollte ein von den Grünen mitregiertes Bundesland zustimmen. Dies schadet auch und vor allem den vielen lokalen Initiativen und Ehrenamtlichen, die sich in den Kommunen für Akzeptanz und Integration von Flüchtlinge einsetzen.
  • Die Menschenrechtssituation in den Balkanstaaten lässt eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten nicht zu. Eine Vielzahl von Quellen, darunter die Gutachten von PRO ASYL, zeigen das ganze Ausmaß der menschenrechtlichen Defizite. Es handelt sich nicht um einzelne problematische Vorkommnisse, sondern um grundlegende strukturelle Probleme. Existenzgefährdende Formen der Ausgrenzung und der fehlende Schutz vor rassistischen und homophoben Angriffen sind durchaus asylrechtlich relevant, den politischen Willen vorausgesetzt.
  • Auch im Rahmen der Beitrittsprozesse von Balkanstaaten zur EU darf es keine Persilscheine geben. Luise Amtsberg hat im Bundestag dieses Argument treffend formuliert: „Beitrittsverhandlungen sind dafür gedacht, Staaten, noch dazu welche, die sich nach wie vor im Aufbau befinden, dabei zu unterstützen, die Anforderungen aus dem Kapitel für Menschenrechte und Justiz schrittweise umzusetzen. (…) Aber diesen Prozess beschleunigen wir eben nicht durch den Passus oder den Stempel des sicheren Herkunftsstaates. Im Gegenteil, wir senden eine ganz anderen Botschaft.“
  • Hat die Methode, Staaten nach tagespolitischem Interesse auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu setzen, erst einmal gegriffen, dann ist dies ein Tabubruch, der Schule machen kann. Wie bei den Westbalkanstaaten könnte bei hohen Asylbewerberzahlen aus anderen Ländern zunächst für niedrige Schutzquoten gesorgt werden, um dann die Notwendigkeit einer Aufnahme auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten abzuleiten.
  • Das Asylrecht gerät auf eine schiefe Ebene. Die Menschenrechtssituation in den Balkanstaaten lässt eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten nicht zu. Zu den Anforderungen an das Prüfungsverfahren des Gesetzgebers, der einen Staat zum sicheren Herkunftsstaat bestimmen will, gehört es, die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die allgemeinen politischen Verhältnisse in Blick zu nehmen. Dabei geht es um die Anwendung der Gesetze in der Praxis. Bei der Einstufung der drei Länder als „sicher“ wurde die tatsächliche Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht nicht geprüft. Das Gesetz ist damit nicht EU-rechtskonform. Der Gesetzgeber erfüllt darüber hinaus nicht die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zur Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsländer.

Wenn 35 SPD-Abgeordnete in schriftlichen Erklärungen zu ihrem Abstimmungsverhalten erklärt haben, dass sie die Argumente zur Sicherheit dieser Herkunftsländer nicht teilen, dem Gesetz aber aus Koalitionsräson zuzustimmen, zeigt dies wie problematisch das Gesetz ist. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion, Luise Amtsberg, bezeichnete das Projekt sichere Herkunftsländer im Bundestag als einen Angriff auf das Grundrecht auf Asyl und kündigte an: „Aber sie haben die Rechnung ohne die Grünen in den Ländern gemacht“. Darauf bauen wir. Wir bitten Sie dringend: Bleiben Sie bei Ihrer ablehnenden Haltung“.

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